Die Rezession der Schunkler

German disease auf der Kirmes: Eines der letzten deutschen Kulturgüter ist in Gefahr. Der Schaustellerverband klagt über massive Umsatzeinbrüche, ausgerechnet die Kirchen wollen den Karussell-Bossen nun den Todesstoss versetzen

Aus Hannover Kai Schöneberg

Als hinten im Marris-Festzelt eine Band zum „Prosit der Gemütlichkeit“ tuscht, fängt Hannovers OB Herbert Schmalstieg (SPD) an, vom „Markenartikel“ Schützenfest und vom mit 210.000 Besuchern „stärksten Sonntag aller Zeiten“ bei der mittlerweile 475. Grünrockparty in Hannover zu erzählen. Zwei Millionen Besucher sollen insgesamt bis zum Sonntag zum „größten Schützenfest der Welt“ kommen. Als sich am Wochenende 13.000 Schützen mit 150 Kapellen, 70 Festwagen, sortiert in vielen hundert Vereinen durch die City schlängelten, tauchte das die oft als trübsinnig verschriene Stadt in einen kleinen Rausch, der sich irgendwo zwischen Ballermann und Karneval ansiedeln ließe. Statt Kamellen schmiss ein Verein aus Eckernförde allerdings geräucherte Aale unters Volk.

Ja, in Neuss gebe es viel mehr Schützen, gab Schmalstieg gestern zu, dafür aber auf dem Schützenplatz in Hannover 250 Zelte, Buden und Fahrgeschäfte. Nach dem Münchener Oktoberfest, dem Canstatter Wasen, dem Hamburger Dom und dem Bremer Freimarkt gehöre der Schützenrummel also immerhin ein „Uefa-Platz“ in der Liga der deutschen Volksfeste, merkte der OB zufrieden an.

Doch Kanzler hilf! Erst die Kameras, dann die Fernseher, die Autos, die Computer, zuletzt der deutsche Fussball. German disease! Schunkel-Rezession! Noch „ist Deutschland das Kirmesland Nummer 1, eine weltweit führende Nation“, verkündigte Albert Ritter, der Präsident des Deutschen Schaustellerbundes (DSB). Im vergangenen Jahr hätten noch 228 Millionen Besucher 13.000 Volksfeste und Freizeitparks im Land besucht, dabei fast vier Milliarden Euro verprasst. Die deutschen Weihnachtsmärkte hätten sich sogar zum Exportschlager gemausert: „In Brüssel gibt es sowas schon seit drei Jahren, in Rom dieses Jahr den ersten“, freute sich Ritter, der den mit 4.500 Mitgliedern „weltgrößten Schaustellerverband“ anführt. Allerdings brenne ihm richtig „unter den Nägeln“, weil der Verband ja auch die „Interessen dieses Kulturguts“ vertrete: Wegen „Rezession und Euro-Knick“ sei die „wirtschaftliche Lage auf den Volksfesten nicht mehr die Rosigste.“ Und: „Es gibt in der Spitze bis zu 30 Prozent Umsatzeinbrüche“. Manche Schausteller stünden „mit dem Rücken zur Wand“, vor allem die Losbuden, und das „Kleinspiel“, Pfeil- und Ballwerfstände, seien bedroht. Auch bei den Fahrgeschäften „kann man die Drehzahl ja nicht so minimieren, dass sich auch Senioren ins Karussell bewegen“, meinte Ritter im Hinblick auf neue Strategien, wie die Malaise zu beheben sei. Genauere Zahlen wollte der Schausteller-Präsident freilich nicht nennen. Dennoch murmelte die Runde der Branchenvertreter, die gerne „einen jungen Mann zum Mitreisen“ suchen, vom „Volksfest-Sterben“, einer sagte: „Reisen, Gastronomie, Feste – ist doch überall dasselbe!“

Ausgerechnet die Kirchen wollten den Schaustellern nun den Todesstoss versetzen: Landesbischöfin Margot Käßmann habe „aus für uns nicht nachvollziehbaren Gründen“ gefordert, Weihnachtsmärkte erst nach dem Totensonntag zu eröffnen, donnerte Ritter. Woraufhin OB Schmalstieg, der ja auch Vize-Präsident des Deutschen Städtetages ist, gleich damit drohte, man könne die Weihnachtsmärkte ja auch nach hinten verlängern: „Ich kenne Länder wie Österreich, wo die Märkte auch nach Heiligabend oder sogar bis zu den Heiligen 3 Königen dauern“.