Von Win-Win zur Loser-Praxis

Die niedersächische Kulturförderung steht vor drastischen Kürzungen. Opposition und Verbände rüsten zum Protest gegen den Kahlschlag in der Fläche

Kürzungen treffen vor allem die kleinen Kulturinstitutionen ins Mark

Eine „völlige Neustrukturierung der Kulturförderung in Niedersachsen“ hatte der zuständige Minister Lutz Stratmann (CDU) angekündigt – um eine Konkretisierung dieser Aussage tunlichst zu unterlassen. Und schon braut sich ein Proteststurm zusammen: Betroffen und in ihrer Existenz gefährdet wären rund 1.200 kulturelle Einrichtungen aus allen Sparten, warnte der Arbeitskreis Niedersächsischer Kulturverbände (Akku). Die „kulturelle Grundversorgung außerhalb der Großstädte würde auf das Niveau der 50er Jahre zurückgefahren“, wütete die SPD. „Stratmann trocknet als kulturpolitischer Steppenwolf das freie Kunstangebot Niedersachsens aus“, ärgerten sich die Grünen. Die Fläche werde in die „bildungspolitische Steinzeit“ zurückbefördert.

Harte Worte, dabei ist Stratmanns Etat bei den insgesamt 1,9 Milliarden Euro teuren Kürzungen im niedersächsischen Landesetat, die das Kabinett vergangene Woche in Klausur beschloss, eigentlich noch gut weggekommen. Eigentlich geht es auch „nur“ um acht Millionen Euro, die der Minister 2005 bei der Kulturförderung, insgesamt 155 Millionen Euro, einsparen will. Dazu kommen nochmal drei Millionen aus Lottomitteln, die das Land anteilig in der Kultur streichen will. Weil Stratmann allerdings die großen Staatstheater und Landesmuseen vom Kürzen ausnimmt und weil wegen fester Verträge und fixer Personalkosten der Löwenanteil der Mittel gebunden ist, dürfte für die Literaturbüros, Musikschulen, Kulturvereine, Freien Theater, Jugendkunstschulen, Mini-Museen und soziokulturellen Zentren 2005 nur noch eine Million Euro an Fördermitteln übrig bleiben.

Natürlich treffen die Kürzungen gerade die Kleinen ins Mark – und sogar die kulturellen „Leuchttürme“, die der Minister ja ausdrücklich schonen will. Beispiel Hildesheim: In diesem Jahr werden hier noch sieben freie Theater mit rund 130.000 Euro bezuschusst. Noch betreibt das Stadttheater hier bis zu fünf Koproduktionen mit freien Gruppen. „Diese Kooperation sollte ausgebaut werden. Wir gelten bundesweit als modellhafte Win-Win-Praxis“, sagt Jan Sellke, Dramaturg am Stadttheater. Das Theaterinstitut Antwerpen habe gerade in einer Studie das Berlin HAU und die „Hildesheimer Praxis“ als „zukunftsweisende Modelle“ eingestuft. Die Zukunft weist für die freie Hildesheimer Theaterszene jedoch gen Nichts. Dabei sei sie ein „wesentlicher Bestandteil des Modells und Motor für die ästhetische Erneuerung und Bindung neuer Zuschauerschichten an das Stadttheater“, protestiert Sellke.

Auch die zwei Millionen Euro zur Förderung der Soziokultur, die die Landesarbeitsgemeinschaft Soziokultur (LAGS) verwaltet und vergibt, sind Teil der Kürzungspläne. Beschneide das Land die Mittel, drohten mehr als 100 große und kleine Bühnen mit jährlich mehr als 10.000 Veranstaltungen und 3,7 Millionen Besuchern zu veröden, kritisierte die LAGS. 350 Kulturvereine würden eine wichtige finanzielle Unterstützung verlieren. Trotz des bedrohlichen Szenarios sei es noch zu früh für größere Protestaktionen, meint LAG-Geschäftsführer Gerd Dallmann. Zunächst wolle er Gespräche im Ministerium und auch mit Abgeordneten abwarten. Wenn sich Stratmann allerdings mit seinen Plänen durchsetze, „steht die Kultur vor der Haustür vor dem Aus“. Kai Schöneberg