„Bip“ im Thalia: Nach über 20 Jahren kommt Marcel Marceau heute wieder nach Hamburg
: Universelle Minidramen

Die Krater, die seine Falten durch die weiße Schminke ziehen, sind tiefer geworden, doch der Körper ist immer noch der eines jungen Mannes. Er ist 81 Jahre alt, der berühmteste Bewegungskünstler der Welt, und manchmal wird Marcel Marceau gefragt, ob das wirklich er war dort oben auf der Bühne oder nicht doch sein Sohn.

Der Mann, der zu Lebzeiten schon als Unsterblicher gehandelt wird und jetzt ins Thalia kommt, scheint seit Beginn seiner Karriere alterslos. Das mag daran liegen, dass Marceau schon als junger Mann die Last eines ganzen Jahrhunderts auf seinen Schultern spürte. 1923 als jüngster Sohn eines jüdischen Metzgers in Straßburg geboren, musste er die Vertreibung seiner Familie durch die Nationalsozialisten miterleben. Sein Vater wurde in Auschwitz ermordet, der junge Marcel Mangel ging in die Résistance und legte sich einen neuen Namen zu: Marceau.

Seine Kunst entdeckte er zu einem ungewöhnlichen Zeitpunkt: Als Besatzungssoldat in Deutschland gründete er in seiner Einheit eine kleine Theatergruppe und spielte vor den allierten Soldaten. Vielleicht wurde dem jungen Mann damals klar, dass er seine Kunst nicht an Sprache binden wollte, sondern an etwas Grenzübergreifenderes. „Er ist kein Schauspieler, sondern ein Mime“, heißt es in dem Film Die Kinder des Olymp über den traurigen Pantomimen Baptiste – gespielt von Marceaus Lehrer Jean-Louis Barrault. Diese Aussage gilt auch für Marceau, und sie macht klar, dass die „sprachlose Kunst“ seit jeher einen ganz eigenen Stellenwert unter den Schauspielkünsten hatte. Sie war immer abgehobener und gleichzeitig emotionaler als alle anderen Schauspielformen.

Auch Marceau will Gefühle wecken. Das ist wohl auch der Grund, warum der „Poet der Stille“ auch nach über 50 Bühnenjahren immer noch seinen Platz zwischen immer bombastischeren Shows behaupten kann. Seine Kunst hat etwas Archaisches, und wenn Marceau seine „Mimodramen“ mit den Werken der Antike vergleicht, ist das keineswegs zu weit hergeholt. Denn er beschreibt Situationen, die allgemeingültig sind. Ob in Hongkong, Buenos Aires oder New York – der tragikkomische Clown Bip, Marceaus Alter Ego, hat in über 12.000 Vorführungen in mehr als 90 Ländern für volle Häuser gesorgt.

Auch in Hamburg wird Bip vergeblich gegen die Tücken des Alltags kämpfen. Marceau präsentiert im Thalia großteils die Klassiker seines Repertoires: Le Tribunal (Das Gericht), La Création du monde (Die Erschaffung der Welt) und La Marche contre le vent (Der Marsch gegen den Wind) werden zu sehen sein.

Den Beweis, dass sein Körper ihm immer noch so gehorcht, wie zu Beginn seiner Karriere, erbrachte der Mime, als er sich am Montag in das Goldene Buch der Stadt eintrug. Im Zeitlupentempo ließ er sich nach vorne kippen, als liefe er tatsächlich gegen einen Sturm an. Genau diese Pose faszinierte in den Achtzigern einen Popstar so sehr, dass er sich die „Bip“-Show gleich mehrfach ansah und Marceau schließlich um Rat fragte. Wenig später wurde die Welt des Pop von einem Tanzstil revolutioniert, der sich „Moonwalk“ nannte – die Kunst, zu laufen, ohne sich von der Stelle zu bewegen. Der Künstler – Michael Jackson – erreichte mit dieser Nummer den Zenit seiner Karriere. Nur wenige erkennen in ihr eine Hommage an Marceau. „Mimen hat es vor Dir nicht gegeben“, lautet ein Zitat aus den Kindern des Olymp. Sieht man Marceau an, mag man nicht glauben, dass es nach ihm noch welche geben wird. Carolin Ströbele

8.–10.7., 20 Uhr, Thalia Theater