Alles Pfeifen außer Diego

Nur mal angenommen, wir hätten noch Fußballhelden – von welchem Schlag sollten sie sein? Wollen wir lieber den Typ keuscher Kaiser oder den Koks schniefenden Rebellen? Na also. Eine Pflichtverteidigung für den göttlichen Diego Maradona – und längst noch kein Nachruf

AUS BUENOS AIRESINGO MALCHER

Diego Armando Maradona war gestern Abend Golf spielen. Ein runder Mann mit rundem Lockenkopf schlug mit dem Schläger auf eine kleine Kugel. Am nächsten Tag stand es in den Zeitungen: Maradona hat Golf gespielt. Danach gab sein Leibarzt bekannt: „Diego bleibt in Argentinien.“ Er wird zur Entziehungskur nicht nach Brasilien gehen. Schon gar nicht in die Schweiz. Maradona habe in seiner Heimat alles, was er brauche, zudem sei in Argentinien „die psychotherapeutische Betreuung so gut wie nirgendwo auf der Welt“. Außerdem: Maradona macht Fortschritte. Er habe schon 20 Kilo abgenommen. Auch das stand in den Zeitungen. Die Bilder sprachen allerdings eine andere Sprache.

Ein Land macht sich Sorgen um seinen Helden. Zweimal schwebte Maradona in den vergangenen zwei Monaten in Lebensgefahr. Das erste Mal wegen einer Überdosis Kokain. Das zweite Mal wegen einer Überdosis Würstchen, wie man sagt. Aber Maradona ist kein einfacher Patient. Als er keine Lust mehr hatte im Bett zu liegen und Pillen zu schlucken, sagte er zur Dienst habenden Schwester: „Ich geh jetzt.“ Dann war er weg. Maradona ist unkontrollierbar. Blind folgt er seinen Instinkten, er tut, was er will und verstößt gegen alle gesellschaftlichen Konventionen: Er kokst, frisst und feiert.

Und das soll er auch gerne weiter tun, trotz aller heuchlerischen Hilfsangebote aus dem In- und Ausland. Es ist kaum vorstellbar, dass Maradona ohne Kokain, Würstchen und Ekstasen ein glücklicherer Mensch wäre. Er lebt ein Leben am Limit, eben das genaue Gegenteil vom Prototyp des kleinbürgerlichen Spießers.

Die nützlichen Idioten

Im Nachbarland Brasilien weiß sich sein ehemaliger Kollege Pelé besser zu benehmen. Er diente seinem Land kurzzeitig sogar als Sportminister. Heute wirbt er in Fernsehspots ordentlich angezogen für das Potenzmittel Viagra. Oder betrachten wir Franz Beckenbauer: Das Leben des Exliberos läuft in geordneten Bahnen ab, ein uneheliches Kind gilt eher als Beweis seiner Manneskraft denn als Beleg eines schlechten Charakters. Beckenbauer ist diszipliniert und der Jugend als Vorbild präsentierbar. Alles, was er anfasst, wird zu Gold: Bayern München wird mit ihm als Trainer Deutscher Meister, Deutschland gar Weltmeister. Alle Achtung. Oder man nehme seinen Kollegen Uli Hoeneß. Ein erfolgreicher Geschäftsmann. Gut, ein wenig übergewichtig, dafür jedoch Deutschlands größter Fußballmanager. Aber: Wären uns die beiden als Trunkenbolde nicht lieber?

Sie passen in das Schema, das César Luis Menotti, argentinischer Weltmeistertrainer und Freund der Militärdiktatur, einst beschrieben hat: „Sich anpassen und funktionieren, so hat die Oberschicht auch den Fußballprofi am liebsten. Es ist ihr nur recht, dass auf diese Weise fortwährend Dummköpfe kreiert werden, nützliche Idioten des Systems.“ Diego Maradona gehört nicht zu den Dummköpfen, er ist aus dem System Vorbildfußball ausgestiegen und nimmt sein Leben als ein einziges Delirium wahr. Darin gibt es nur Applaus oder Absturz, Glanz oder Gosse.

Dabei ist Maradonas Person sehr widersprüchlich. Er trägt eine Che-Guevara-Tätowierung auf dem rechten Oberarm und meint: „Für Fidel Castro würde ich mein Leben geben.“ Der Realpolitiker Maradona jedoch nennt den ehemaligen argentinischen Präsidenten Carlos Saúl Menem „meinen Freund“. Dabei scheint es ihm egal zu sein, dass sein Freund den Ausverkauf Argentiniens betrieben hat und sich wegen zahlreicher Korruptionsaffären ins nachbarliche Chile flüchten musste. Doch Maradona lässt ihn nicht fallen: „Ich habe große Bewunderung für Menem.“

Er schert sich eben um nichts. Lange hielt er auch zu seinem Manager Guillermo Cóppola, ehe er sich erst im vergangenen Jahr von ihm trennte. Angeblich hat ihm Cóppola mehrere tausend Dollar vorenthalten. Er war der Mann, der Maradona das Leben organisiert hat und gehasst wurde von einem ganze Land. Nur für Maradona war er „wie ein Bruder“. Cóppola verkaufte Maradona in Minutenhäppchen für Interviews an Fernsehstationen, brachte ihn als Werbeträger für die Aufklärungskampagne „Sonne ohne Drogen“ in Stellung und besorgte ihm sein Kokain. Als Polizisten einmal in Cóppolas Wohnung Kokain fanden, sorgte Cóppola dafür, dass die Polizisten ins Gefängnis kamen.

Die Geschichte von Maradona wurde schon hundertmal erzählt. Der kleine Junge aus dem Slum Villa Fiorito, er wurde entdeckt und stieg zum besten Fußballer aller Zeiten auf. Einer, der kicken kann wie der Teufel und der lieber ohne Schnürsenkel gespielt hätte, weil man dann „den Ball besser spürt“. Das Urteil ist schnell über ihn gefällt: Er hat seinen Ruhm nicht verkraftet, sagt man gern.

Aber vielleicht hatte er einfach keine Lust, sich so zu benehmen wie Pelé, Beckenbauer oder Hoeneß. Vielleicht macht es ihm einfach Spaß, als pensionierter Fußballpunk Grenzen zu überschreiten. Darin ähnelt er seinem Vorbild Ché Guevara, über den er sagt: „Er war ein Rebell. Genau wie ich.“

Bis zum Schluss.