Die Nachhelfer

Kommerzielles Nachpauken gehört zur Schulrealität, seit es öffentliche Schulen gibt. Erst wenige Jahre messen Forscher, was es bringt: Bessere Noten in einem schwächelnden Schulsystem. Besuch bei den Marktführern

Benötigt Ihr Kind oder eines aus dem Freundeskreis dringend Nachhilfe, bekommt aber keine, weil das finanziell nicht drin ist? Die taz hat dem Studienkreis und der Schülerhilfe vier Nachhilfe-Stipendien abgeschwatzt, jeweils über sechs Monate gültig für zwei Mal 90 Minuten in der Woche – ab sofort einlösbar in einer Filiale um die Ecke. Zwei Stipendien vergibt der Studienkreis an allein Erziehende aus Schleswig-Holstein und dem nördlichen Niedersachsen. Die Schülerhilfe spendiert zwei Stipendien, auf die sich alle Hamburger Familien bewerben können. Einfach per E-Mail an winter@taz.de kurz die Situation schildern.

VON MART-JAN KNOCHE

„Ein Saisongeschäft“, sagt Bernt Plickat. Der Gebietsleiter rückt sich erst einmal die schwarz gerahmte Brille zurecht, dann sitzen auch die Gedanken gerade – und Plickat legt los. Als Nachhilfe-Manager hat er viel zu sagen über die Gesetzmäßigkeiten der Branche. Was zum Beispiel eine Studie der Pädagogischen Fakultät der Uni Bielefeld aus 2007 zeigt: Dass sich nach zehn Monaten Nachhilfe in einem Studienkreis-Institut bei 75 Prozent der teilnehmenden Kinder die Noten verbessern. Die Forscher hatten bei 418 Nachhilfeschülern an 48 Standorten die „Wirksamkeit und Nachhaltigkeit von Nachhilfeunterricht“ untersucht.

Plickat betreut 65 Studienkreis-Niederlassungen in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hamburg. Seit zehn Jahren arbeitet er für die Nachhilfe-Kette, die zum Cornelsen-Verlag gehört und sich seit den 70ern die Marktführerschaft mit dem Konkurrenten Schülerhilfe teilt. Der 51-Jährige hat über dieses Thema viel zu erzählen, und weil die Branche derzeit boomt, heute gern noch ein bisschen mehr. Nur die Zeit drückt, ein nächster Termin ruft. Sein Saisongeschäft hat Hochsaison.

„Hier ziehen wir eine Wand hoch“, Plickat winkt quer durch das Lernzimmer für Grundschüler in der Filiale Hamburg-Barmbek. Er hat spontan die Raumteilung beschlossen, nachdem seine barmbeker Filialleiterin Irma Damerau über Platzmangel klagte. Der Ansturm von Eltern auf das zentral gelegene Institut könne kaum noch bewältigt werden, sagt die Finnin. Turbo-Abitur, Schulreform und gerade erst die Halbjahrszeugnisse führten zu Hilfeschreien. Was Ostern, Weihnachten und Silvester auf einmal für den Einzelhandel wäre – das ist momentan Alltag für die kommerziellen Nachhelfer vom Studienkreis in Barmbek.

Das All-Inclusive-Paket kostet 139 Euro im Monat. Dafür könnte sich ein Schüler sofort jede Woche bis zu fünf Mal und neunzig Minuten lang nachhelfen lassen, könnte – wenn auf Irma Dameraus Warteliste nicht schon zwanzig Anfragen stünden. Viele Eltern hätten gerade „Warnschüsse“ von den Gymnasien erhalten, sagt Damerau. Sie sollten sich schon mal eine andere Schule für ihr Kind suchen, lege man ihnen nahe. Weil die Noten im Zeugnis nicht stimmen würden. Hinzu kämen Behördenbriefe, die die sechsjährige Primarschule ankündigten. „Die Schulreform verunsichert enorm“, sagt die Filialchefin. Man versuche, die Ängste zu nehmen.

An der Wand im Büro nebenan hängt das TÜV-Zertifikat für Nachhilfeschulen. Viele Auflagen sind daran geknüpft: Fünfer- oder kleinere Lerngruppen, helle Räume, individuelle Beratung, penibles Dokumentieren der Lernerfolge, geschultes Fachpersonal, professionelles Lernmaterial und Kooperation mit den Schulen gehören dazu. Gerade mit Grundschullehrern klappe die Abstimmung gut, berichtet Damerau. Doch insgesamt hinke die Netzwerkbildung mit den Schulen ihren Wünschen hinterher. Es gebe Berührungsängste. Regelmäßig verweigerten Lehrer den Kontakt, man sehe sie als Nestbeschmutzer. Dabei bereite man deren eigene Schüler auf deren Abschlussprüfungen vor. „Viele argumentieren, Bildung sei eine genuin öffentliche Aufgabe“, analysiert Gebietsleiter Plickat. Dabei gehöre sie ebenso zur elterlichen Erziehungspflicht. „Immerhin steht das im Grundgesetz.“

Tatsächlich kritisiert die Bildungsgewerkschaft GEW kommerzielle Nachhilfe – vor allem die fehlende pädagogische Qualifikation der meist studentischen Nachhilfekräfte an den Instituten. Die Dienstleister – und ihre zahlende Kundschaft – halten dagegen: Was kratzt das eine Mutter, deren Kind sich durch Nachhilfe im Hauptfach verbessert und so das Abitur machen kann?

„Meine Freunde in Finnland verstehen meinen Job nicht“, sagt Irma Damerau, die seit 1979 in Deutschland lebt. Dort gibt es keinen Nachhilfemarkt. Finnische Ganztagsschulen erledigen das durch ihre gute individuelle Förderung, stand 2008 in einem Nachhilfe-Gutachten des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie. Hier sieht das nicht so rosig aus für Familien, die knapp bei Kasse sind: Weil originäre Aufgaben der Schulen übernommen würden, könne sich die soziale Selektion im Bildungswesen auch durch die Nachhilfe weiter verschärfen, heißt es in der Studie, die das Bildungsministerium in Auftrag gab.

Ziemlich genau einer Million Kinder habe allein der Studienkreis in den vergangenen 35 Jahren nachgeholfen, berichtet Bernt Plickat. „Hunderttausende haben in privaten Instituten ihre Noten verbessert, so ihren Abschluss geschafft und eine Ausbildung gefunden.“ Er deutet die Dienstleistung auch als eine „im großen Umfang sozial-politische Leistung“. Aber jetzt drückt die Zeit: Plickat muss weiter nach Buxtehude, danach in die Buchholzer Filiale. „Haben Sie eigentlich schon unseren Fernsehwerbespot gesehen?“, fragt er beim hinausgehen.

Bislang investierte vor allem der zweite Branchenprimus, die Schülerhilfe, Millionen ins Marketing. Mitte Januar verkaufte sie wieder einmal Lernbücher bei Aldi-Nord. Allein in Hamburg betreibt die Schülerhilfe dutzende Filialen, oft in direkter Nachbarschaft zum Studienkreis. Seit November ist sie auch in Billstedt, einem der ärmstem Stadtteile Hamburg im Osten der Stadt, vertreten.

Viele Eltern haben „Warnschüsse“ von den Gymnasien erhalten. Sie sollten sich für ihr Kind schon mal eine andere Schule suchen

Kerstin Spillker ist hier die Gebietsleiterin. Sie lächelt freundlich. Nein, die Schulen könne sie nicht kritisieren – auch wenn, naja, ok, nicht immer alles reibungslos ablaufe. „Eine Schulleitung hat sich gerade sehr gefreut, als wir ihre Bibliothek mit unseren Lernbüchern gefüllt haben.“ Rund 30.000 Bücher, gemeinsam produziert mit dem Duden-Verlag, spendet die Schülerhilfe Jahr für Jahr an öffentliche Schulen.

Auch hier sind die Räume hell und in lernfreundlicher Schlichtheit für kleine Gruppen ausgestattet. Auch hier übernehmen Lehramtsstudenten oder Diplom-Mathematiker ohne festen Job den Nachhilfeunterricht. Dass dieser langfristig nicht nur die Zensuren, sondern auch die Lernmotivation der Kinder im Schulunterricht verbessert, untermauert besagte Studie der Universität Bielefeld aus dem Jahr 2007.

Allerdings legt eine Undercover-Recherche der Stiftung Warentest den Eltern nahe, die Anbieter vor Ort kritisch zu beäugen. Denn die Institute halten zwar ein Drittel des Gesamtmarkts – die restliche Nachhilfe läuft privat ab – aber ihre Standorte unterscheiden sich oft in Puncto Qualität. Das weiß auch Kerstin Spillker. Bis Ende 2009 sollen alle ihre Filialen das TÜV-Siegel erhalten.

Sie entschuldigt sich nun. Der kleine Daniel* aus der Mathe-Gruppe im Nebenzimmer, der will partout nicht rechnen. Das lässt die Gebietsleiterin nicht auf sich sitzen. Den Daniel kriegt sie auch noch hin. *Name geändert