Rollenmodelle vorleben

Männliche Vorbilder gesucht: Die praxisnahe Fachschulausbildung zum Jugend- und Heimerzieher bereitet darauf vor, mit verhaltensauffälligen und gewaltbereiten Jugendlichen zu arbeiten

Jugend- und Heimerzieher finden sich in unterschiedlichen pädagogischen Einrichtungen, insbesondere aber in Heimen der Jugendhilfe, der offenen Jugendarbeit wie Jugendhäusern und Schülerzentren, in Tagesgruppen oder in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Voraussetzung für eine – in der Regel dreijährige – Ausbildung zum staatlich anerkannten Jugend- und Heimerzieher an einer Fachschule für Sozialwesen sind ein Realschulabschluss oder ein vergleichbarer Bildungsstand sowie ein (einjähriges) Vorpraktikum mit qualifizierter Anleitung, gegebenenfalls ergänzt durch einen Vorbereitungslehrgang oder einen einschlägigen Vorberuf.

VON PETRA MICHAELIS

Florian* ist müde und braucht dringend eine Dusche. Aber er ist glücklich: „Vier Tage war ich im Odenwald zu Fuß mit fünf Jungen aus dem Kinder- und Jugendheim unterwegs“, sagt er. „Das war anstrengend, aber insgesamt eine tolle Erfahrung.“ Florian ist mit den Jungs gewandert und hat mit ihnen in offenen Schutzhütten biwakiert. Aufgezwungen hatte er ihnen diesen Ausflug keinesfalls. Nein, sie mussten sich sogar dafür bewerben. „Nichts für Weicheier“, hatte er schon im Vorfeld verlauten lassen, und das hat einige erst recht angespornt.

Der Jugend- und Heimerzieher hat es geschafft, die Gruppe zusammenzuhalten. Er war Vorbild und Tröster, hat Blasen an den Füßen behandelt und den Jungs gezeigt, wie man mit wild wachsenden Kräutern das mitgebrachte Essen verfeinert. Seit drei Jahren arbeitet Florian in Heidelberg in einem kleinen Kinder- und Jugendheim und ist zuständig für eine Gruppe von Jungen zwischen 13 und 15 Jahren, die als schwierig im Verhalten und als gewaltbereit gelten.

Jugend- und Heimerzieher ist ein Beruf, der erst in den 1980er-Jahren entstanden ist. Träger der Jugendhilfe hatten damals erkannt, dass die auf herkömmliche Weise an einer Berufsfachschule oder einer Fachakademie ausgebildeten Erzieher sehr gut im Vorschulbereich einsetzbar waren, aber im Umgang mit verhaltensauffälligen Jugendlichen nicht selten scheiterten. In enger Anbindung an diese Träger und damit an die Praxis wurden darum vor allem private Fachschulen für Sozialwesen der Fachrichtung Jugend- und Heimerziehung gegründet. Voraussetzung für die Ausbildung zum Jugend- und Heimerzieher sind seither die Realschulreife und ein einjähriges Vorpraktikum, das aber auch im Rahmen des Zivildienstes absolviert werden kann.

Genauso hat es Florian gemacht: Durch seinen Zivildienst hatte er schon einen Einblick in die Arbeit der Jugend- und Heimerzieher erhalten. Danach meldete er sich für die dreijährige Ausbildung an einer Fachschule für Sozialwesen, Fachrichtung Jugend- und Heimerziehung an, an der er nebenbei noch eine Zusatzqualifikation in Erlebnispädagogik erwerben konnte. „Die Ausbildung ist theoretisch anspruchsvoll, zugleich aber auch praxisnah“, sagt er im Rückblick.

Florian war überzeugt von der Idee, dass es in einem sozialen Beruf möglich sein würde, seine persönlichen Stärken einzusetzen und damit auch etwas gesellschaftlich Sinnvolles zu tun. Heute sagt er: „Die Mischung aus persönlichem Engagement, Fachkenntnissen, aber auch ganz praktischen Fertigkeiten ist es, was einen guten Jugend- und Heimerzieher ausmacht.“

Was für die Jugendlichen in seiner Gruppe so locker wirkt, hat Florian allerdings aufwendig vorbereitet. Er plant seine Aktionen nach methodisch-didaktischen Gesichtspunkten und hat im Vorfeld lange über die optimale Umsetzung gegrübelt. Aber die Mühe zahlt sich aus: Die Jungs haben Respekt vor Florian. Er hat eine beeindruckende Kondition beim Klettern, aber er kann auch eine hervorragende Pizza backen und bei den Hausaufgaben helfen.

Aufgrund der positiven emotionalen Bindung sind die Jugendlichen bereit, ihn als Vorbild für das eigene Lernen anzunehmen. Ihr Erzieher ist anders als die meisten Männer, mit denen sie aufgewachsen sind: Er ist ein sportlicher Typ, aber nicht aufbrausend und nicht gewalttätig. Florian versucht, den Kindern zu zeigen, wie man Probleme und Konflikte auf konstruktive Art lösen kann. Er will ihnen ein anderes männliches Rollenmodell vorleben, als sie es aus ihrer Familie gewohnt sind.

Als männlicher Erzieher arbeitet Florian auf einem nach wie vor von Frauen dominierten Gebiet. Seine Arbeit ist gerade deshalb so wichtig, weil es den Jungen unter den vernachlässigten Kindern an geeigneten männlichen Vorbildern mangelt. In der Ausbildung spielen daher Gewaltprävention und die Methoden der konfrontativen Pädagogik eine wichtige Rolle. Denn mit „Kuschelpädagogik“ hat die praktische Arbeit genauso wenig zu tun wie mit den sogenannten Erziehungscamps. Aber Konsequenz im Umgang mit den nicht selten gewaltbereiten Jugendlichen ist unabdingbar.

Als Jugend- und Heimerzieher und Erlebnispädagoge hat Florian mittlerweile eine wichtige Funktion in seinem Team. Mit seinen speziellen Outdoor-Angeboten gelingt es ihm, den Kindern einen Raum zu schaffen, in dem sie kooperatives Verhalten einüben, sich selbst als stark und das Leben als schön erleben können. „Wenn es wirklich gut läuft, dann nehmen die Kinder diese Erfahrung mit und übertragen Gelerntes in den Alltag.“

Dabei ist Florian Realist genug, um nicht zu erwarten, dass immer alles glattläuft. Als Erzieher musste er zunächst auch lernen, mit Rückschlägen klarzukommen und angesichts der Schwere mancher kindlichen Störung auch kleine Erfolgserlebnisse zu würdigen. „Was in zehn Jahren Erziehung zu Hause schiefgelaufen ist, das kann natürlich nicht in zehn Wochen korrigiert werden. Aber wir können die Kinder auf einen guten Weg bringen.“

*Name geändert

Die Autorin ist Leiterin der Heidelberger F+U Fachschule für Sozialwesen, Fachrichtung Jugend- und Heimerziehung