Mächtig das Lernen verlernt

Auf Chefetagen tummeln sich Alphatierchen, die ihren Willen durchdrücken können. Das Problem: Dadurch häufen sich die Fehlentscheidungen. Denn die Entscheider entwickeln sich nicht weiter, und fähige Mitarbeiter kommen zu kurz

VON VOLKER ENGELS

Wer auf der Karrieretreppe nach oben will, braucht in der Regel Durchsetzungsvermögen und den Willen zur Macht. Doch Macht verleitet dazu, nichts mehr lernen zu wollen und falsche Entscheidungen zu treffen. Die Leidtragenden sind die Mitarbeiter und der Unternehmenserfolg. Führungskräfte, die ganz oben in der Hierarchie angekommen sind, üben ihre Autorität häufig ungewöhnlich aus: „Sie nutzen ihre Macht dafür, nichts mehr hinzulernen zu müssen“, sagt Wirtschaftspsychologe Wolfgang Scholl, Professor an der Berliner Humboldt-Universität. Diese Struktur finde sich nicht nur in Politik und Organisationen, sondern auch in der Wirtschaft. Das Fachwissen und das Können leistungswilliger Mitarbeiter bleiben dabei auf der Strecke, weil der Chef ohnehin weiß, was der rechte Weg ist.

Auf den ersten Blick scheint es nur schwer nachvollziehbar, dass Menschen sich bewusst Lernprozessen oder Diskussionen entziehen. „Lernen ist aber erst mal anstrengend“, so Scholl, „weil man Ansichten revidieren und Meinungen ändern muss.“ Hinzu komme die Angst vieler Mächtiger, „die Kontrolle zu verlieren“. Statt das Potenzial von Mitarbeitern zu nutzen, würden Diskussionen abrupt beendet, die Meinungen und das Wissen von Mitarbeitern kaum oder gar nicht beachtet. Die Folge: „Es wird weniger neues Wissen, das ein Unternehmen oder eine Organisation dringend benötigt, produziert.“ Warnzeichen von Mitarbeitern, dass der eingeschlagene Weg wohl der falsche ist, finden in den Ohren vieler Machthaber kein Gehör, denn sie umgeben sich gern mit Claqueuren, „die ihnen nach dem Mund reden“.

Scholl, der vor seiner Zeit an der Uni auch in einem großen deutschen Unternehmen gearbeitet hat, setzt auf „Einflussnahme statt Machtausübung“. Der wesentliche Unterschied: Machtausübung verletzt die Interessen des Gegenübers, Einflussnahme berücksichtigt sie: „Die Interessen der Mitarbeiter werden berücksichtigt oder zumindest respektiert.“ Die Partizipation von Mitarbeitern, schließt Scholl aus zahlreichen ausgewerteten Untersuchungen, fördere nicht nur die Zufriedenheit von Mitarbeitern, sondern auch die Produktivität eines Betriebes.

Wie wichtig die Erfahrung und das Wissen von Mitarbeitern ist, unterstreicht auch Gudrun Jürß, Geschäftsführerin der Firma TQU Unisono Training & Consulting, die Führungskräfte in Seminaren schult: „Die Mitarbeiter wissen die Lösung.“ Um die Stärken von Mitarbeitern erkennen und nutzen zu können, sei „Aufmerksamkeit für das Gegenüber“ wichtig. Führungskräfte müssten in der Lage sein, die Perspektive zu wechseln. In Rollenspielen schlüpft zum Beispiel der Geschäftsführer in die Rolle des Mitarbeiters. Wer Firmen oder Teams leiten wolle, brauche ein hohes Maß an sozialer Kompetenz wie Wertschätzung, Respekt oder Ehrlichkeit. Fähigkeiten, die sich in Seminaren oder in Coachings trainieren ließen. Eine wichtige Aufgabe von Team- oder Unternehmensleitern: „Potenziale von Mitarbeitern zu wecken und weiterzuentwickeln“.

Ein einmaliges Führungskräfte-Seminar reicht allerdings nicht aus, um aus einem Alphatierchen ein wohlwollend zuhörendes Gegenüber zu machen, unterstreicht Wirtschaftspsychologe Scholl: „Das Gelernte muss am Arbeitsplatz ankommen.“ Das ließe sich unter anderem dadurch erreichen, dass Trainer oder Berater in Teamsitzungen dabei sind und dem Mächtigen eine Rückmeldung geben.

„Viele Führungskräfte stehen unter einem extremen Druck, weil sie extreme Renditeerwartungen erfüllen müssen“, sagt Thomas Reichel, der als Headhunter vor allem für mittelständische Firmen Leitungspersonal sucht und coacht. Anweisungen zu geben sei häufig viel einfacher, als in einen zeitaufwendigen Diskurs mit den Mitarbeitern zu treten. „Das ist für sie eine Möglichkeit, Komplexität zu reduzieren“, und zudem „ein Akt der ‚Notwehr‘“, so der Geschäftsführer der Duisburger Personalberatung „Headmasters“. Die Diskussionen um die Teilhabe von Mitarbeitern seien allerdings vielerorts „eher Rhetorik als Realität“. Sogenannte Soft Skills seien eher in der „universitären Diskussion als in der unternehmerischen Praxis von Bedeutung“.

Gleichwohl setzt auch Reichel, der in seiner Doktorarbeit die deutsche mit der japanischen Unternehmenskultur verglichen hat, bei der Suche nach Führungskräften auf soziale Fähigkeiten wie Verlässlichkeit, das Vermögen, „Menschen bei Entscheidungen mitzunehmen“, und Bescheidenheit. Denn wer in einem Unternehmen Verantwortung trage, dürfte sich selbst nicht zu wichtig nehmen, „damit es nicht zu royalen Entgleisungen wie seinerzeit bei Hofe kommt“.