Mehr Sonne für Brandenburg

In der Uckermark ist die Sommertemperatur in den letzten 40 Jahren um 3,7 Grad gestiegen

aus Beeskow NICK REIMER

„Viermal B – Bauer Blume bietet Bestes.“ Diesen Spruch liebt Gerd Blume, der im Osten Brandenburgs einen 420 Hektar großen Familienbetrieb betreibt. Hauptsächlich Milch, der 45-jährige Blume ist stolz auf seine Milchquote: 360.000 Liter im Jahr. In diesem Jahr ist es allerdings Essig mit viermal B. Brandenburg leidet unter einer extremen Dürre. Die Alten im Dorf sagen, dass es schlimmer sei als 1947. Damals fielen dem Regenmangel 90 Prozent der Ernte zum Opfer.

Tatsächlich klingen Blumes Zahlen wie die von 1947. „Das Feld, auf dem wir jetzt geerntet haben, brachte 300 Kilo Weizen je Hektar.“ Ausgesät hatte Blume 160 Kilo je Hektar. In normalen Jahren bringt diese Saat drei Tonnen Ernte. Blume ist zwar kein Getreidebauer – das würde bei diesem Sandboden im Landkreis Oder-Spree auch keinen Sinn machen. Aus dem Getreide aber stellt er Futter her. „Normalerweise verkaufen wir 70, in guten Jahren 80 Tonnen Futter auf dem Markt. Jetzt müssen wir Getreide zukaufen“, sagt Blume. Wie das gehen soll, weiß er noch nicht. „Wenn wir keine Dürrehilfe bekommen, bin ich pleite.“

„Das ist die zweite Dürre in drei Jahre“, sagt Professor Michael Freude, Leiter des Brandenburger Umweltamts. Dazu kommt das Jahrhunderthochwasser der Oder vor sechs Jahren. Tatsächlich häufen sich die Extreme. Ist das nur eine Wetteränderung, oder verändert sich bereits das Klima? „Eindeutig Klima“, sagt Freude, der als Beleg Daten der Uckermark anführt. „Hier ist die durchschnittliche Sommertemperatur in den letzten 40 Jahren um 3,7 Grad gestiegen.“ Was nicht ohne Auswirkungen bleibt. Biologen fanden an den Oderhängen in Lebus oder dem Nationalpark Unteres Odertal das Adonisröschen, eine Steppenpflanze, die in Südsibieren oder der ukrainischen Steppe zu Hause ist. „Neuerdings gibt es auch in Brandenburg solche Steppenbiotope“, sagt Freude. Das Adonisröschen findet hier beste Bedingungen – es blüht derzeit.

Zugleich wird es in Brandenburg ein bisschen wie in Italien. Im kleinen Flüsschen Nuthe, das in Potsdam in die Havel mündet, hatten Wissenschaftler vergangenen November bei einer Routineprobe Süßwassergarnelen gefunden. Eigentlich sind diese im Mittelmeerraum zu Hause. Wissenschaftler gingen davon aus, dass der Kleinkrebs sich hier wegen des Klimas nicht fortpflanzen kann. Doch da irrten sie: „Wir haben jetzt tausende Jungtiere gefunden. Offensichtlich finden die Süßwassergarnelen bei uns beste Bedingungen“, so Freude. Dass es jetzt in Brandenburg Kräutersorten vom Schwarzen Meer oder die Italienische Streifenwanze gibt, das könnten weitere Belege für eine Klimaveränderung sein.

Wenn das so weitergeht, wird es im Jahr 2050 in Brandenburg Temperaturen geben wie heute in der Toskana. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Potsdamer Instituts für Klimafolgeforschung. „Nach den zugrunde liegenden moderaten Szenarien wird im Sommer 2050 die Sonne täglich 0,6 Stunden länger scheinen als heute, die Jahresdurchschnittstemperatur um weitere 1,4 Grad steigen“, sagt Friedrich Wilhelm Gerstengarbe, einer der Autoren.

So würde die Verdunstung weiter steigen und die Trockenheit zunehmen. Ohnehin ist Brandenburg das trockenste Gebiet Deutschlands. Derzeit liegt die jährliche Niederschlagsmenge bei 580 Millimetern. Um das mittels eines Messzylinders zu veranschaulichen: Nach einem Jahr stehen derzeit 58 Zentimeter Regenwasser drin. „Durch Deutschland verläuft die Grenze zwischen maritimem und kontinentalem gemäßigtem Klima“, sagt Gerstengarbe. Das bedeutet: Der Osten ist naturgemäß trockener als der Westen. Im Schwarzwald fällt etwa doppelt so viel Regen wie in Potsdam.

Noch. Denn nach den Szenarien der Klimaforscher – „Keine Vorhersagen!“, darauf legt Gerstengarbe Wert – wird die jährliche Niederschlagsmenge in Brandenburg 2050 bei durchschnittlich 450 Millimetern liegen, im Süden des Landes sogar weit unter 400 Millimetern. Extreme Wetterlagen werden sich häufen. „Die Waldbrände in Portugal, die Überschwemmungen in China oder der extrem milde Winter hierzulande – schon in den letzten zehn Jahren hatten wir viermal mehr Extremwetter als Mitte des 20. Jahrhunderts“, sagt Gerstengarbe. Tendenz stark steigend.

Viermal B – von alledem weiß Bauer Blume natürlich nichts. Seine Zahlen lauten anders: „Bodenwertzahl 12, wenn ich Glück habe, 27.“ Die Bodenwertzahl gibt . neben mineralischen Gehaltsstoffen – die Wasserhaltefähigkeit des Bodens an. Gute Böden wie die der Magdeburger Börde haben die Bodenwertzahl 100, sehr gute wie etwa in der Sächsischen Lommatzscher Pflege sogar noch mehr. Als Faustregel gilt: Böden, die eine Bodenwertzahl unter 30 haben, lohnen nur noch zur Fortswirtschaft. „Was soll man denn machen“, sagt Bauer Blume. Die Sandböden in weiten Teilen der Mark Brandenburg haben eben Werte unter 30. Über 30 liegt dagegen in vielen Orten der Region der Prozentsatz der Arbeitslosigkeit. Und das steht dem dreifachen Familienvater jetzt bevor: Diese Woche kommt der Gerichtsvollzieher. „Ohne staatliche Dürrehilfe muss ich aufgeben.“

Obwohl die Ernte noch nicht beendet ist, klagen Deutschlands Bauern vielerorts über die Dürre. Schon jetzt zeichnen sich nach Angaben des Bauernverbandes allein beim Getreide Einbußen in Milliardenhöhe ab. Besonders schlimm ist es auch in Sachsen und Sachsen-Anhalt. „Der Ertragsausfall bei Weizen beträgt dort örtlich bis zu 50 Prozent, bei Roggen gar bis 65 Prozent“, sagt Michael Lohse, Sprecher des Deutschen Bauernverbandes. Brandenburgs Ausfälle aber seien die höchsten. Lohse: „Örtlich bis zu 80 Prozent bei Gerste und Roggen, bei Weizen sogar bis zu 85 Prozent.“

Daher fordert der Bauernverband Hilfe für die betroffenen Betriebe. Bauernpräsident Gerd Sonnleitner wünscht sich etwa, „dass die Bauern genau die gleiche Solidarität erfahren wie vergangenes Jahr beim Hochwasser“. Die Schadensdimension sei größer als bei der Flut, „weil einfach viel mehr Fläche betroffen ist als beim Hochwasser“.

Quer durch Deutschland verläuft eine Klimagrenze: Im Osten ist es naturgemäß trockener als im Westen

„Dramatische Einbußen“ sieht auch das Potsdamer Landwirtschaftsministerium. „Allerdings gibt es bislang nur Schätzungen. Die Ernte läuft ja noch“, so Ministeriumssprecher Achim Wersin. Trotzdem sei ein Hilfspaket geschnürt worden, das Pacht- und Zinssenkungen oder eine Stundung der Beiträge zur Berufsgenossenschaft vorsieht. So können die Bauern zumindest ihre Rechnungen bezahlen. Außerdem habe man bei der EU erwirkt, eigentlich stillgelegte Flächen zur Futtergewinnung nutzen zu können. Dass dies nicht ausreichen wird, ist Wersin klar. „Über direkte Dürrehilfen können wir mit dem Bund aber erst reden, wenn die Ernte abgeschlossen ist.“ Doch so lange glaubt Bauer Blume nicht warten zu können. Wie sich die Bauern Brandenburgs in den nächsten Jahren auf die veränderten Temperaturen einstellen werden, hängt nicht zuletzt von den Forschungsergebnissen der Klimaforscher ab. Gerade die Szenarienstudie des Potsdamer Instituts für Klimafolgeforschung ist aber umstritten. „Es hat immer starke Wetterschwankungen gegeben“, sagt Dr. Claus Dalchow vom Müncheberger Zentrum für Agrarlandschafts- und Landnutzungsforschung. Dalchow hat an diesem Leibniz-Institut zu Wetterschwankungen der letzten 1.000 Jahre geforscht. „Wir haben solche Daten wie den Beginn der Weinlese ausgewertet, die Aufschluss über das Wetter geben.“ Dabei habe man immer wieder extreme Temperaturen festgestellt, die sich dann wieder normalisierten. Es sei nicht erwiesen, dass – wie von den Potsdamer Klimaforschern unterstellt – Klimaveränderungen linear ablaufen.

Einig sind sich die Experten immerhin, dass es in Brandenburg nie so trocken wie in der Toskana werden wird. „Dazu gibt es viel zu viele Seen und Flussläufe“, sagt Klimaforscher Gerstengarbe. Und einig ist man sich auch darüber, was jetzt getan werden muss. 80 Prozent des Regens laufen in Brandenburg ab, nur 20 Prozent gelangen ins Grundwasser. Ein Hilfsmittel sei da der Bau von Rückhaltebecken. Oder der Rückbau der Dränage, die man zu DDR-Zeiten in die Böden einbrachte, um Wasser von den Feldern in Flüsse zu leiten.

Dass die Politik die prekäre Lage erkannt hat, macht Gerstengarbe am Waldumbauprogramm des Landes Brandenburg fest. „Wegen der sandigen Böden ist in der Forstwirtschaft die Kiefernmonokultur sehr beliebt. Kiefern verdunsten aber wesentlich mehr Wasser als etwa Laubbäume.“ Das Umbauprogramm honoriere neues Denken.

Auf dem Hof von Bauer Blume wird die Ernte fortgesetzt, auch wenn sie noch so mager ausfällt. Es ist staubtrocken, unter den Kiefern flimmert die Hitze. „Es grenzt an ein Wunder, dass in Brandenburg noch kein Wald brennt.“ Andererseits wäre das vielleicht ganz hilfreich. Während jetzt überall die Hochwasserbilder des letzten Jahres wieder auftauchen, redet über die Dürre kaum jemand, sagt der Mähdrescherfahrer. „Kein Regen liefert eben viel weniger spektakulärere Bilder als zu viel Regen.“