Notstandsgesetz im Irak unterzeichnet

Die Regierung in Bagdad kann künftig in Unruhegebieten das Kriegsrecht verhängen und zivile oder militärische Befehlshaber einsetzen. Ausländische Truppen sollen nur dann intervenieren, wenn die irakischen Sicherheitskräfte in Bedrängnis geraten

VON KARIM EL-GAWHARY

Als ob es noch einen Anlass gebraucht hätte. Fast zum gleichen Zeitpunkt, als mehrere Mörsergranaten in der Nähe des Büros und des Hauses des neuen irakischen Ministerpräsidenten Ajad Allawi einschlugen und im Zentrum Bagdads eine 750 Kilo schwere Autobombe entdeckt und entschärft wurde, unterschrieb der Regierungschef gestern das schon seit Tagen erwartete irakische Notstandsgesetz. Gut eine Woche nach der Machtübergabe versucht die irakische Regierung mit dem „Dekret für die nationale Sicherheit“ Herr im eigenen Hause zu werden.

Es ermöglicht dem Ministerpräsidenten, für eine begrenzte Zeit das Kriegsrecht in Unruhegebieten zu verhängen, um die Sicherheit im Lande zu gewährleisten. Der begrenzte Notstand gibt der Regierung das Recht, Ausgangssperren zu verkünden, und freie Hand bei Verhaftungen und Durchsuchungen und die Möglichkeit, Post und Telefone zu überwachen. Die Ausrufung des Notstands muss jeweils vom Ministerpräsidenten, seinen beiden Stellvertretern und dem Präsidenten unterschrieben werden und gilt für maximal 60 Tage für ein genau umrissenes Gebiet.

Gerechtfertigt werden darf die Ausrufung im Falle „gefährlicher Bedrohungen“ oder der „Gefährdung staatlicher Institutionen, der Infrastruktur oder der Freiheiten von Bürgern und Ausländern“. Neben dem Verbot der Bewegungsfreiheit können auch Versammlungen und Demonstrationen untersagt werden. Die Sicherheits- und Nachrichtendienste einer betroffenen Region können außerdem der direkten Kontrolle des Ministerpräsidenten unterstellt werden. Ein Schritt, der an die Zeiten Saddam Husseins erinnert, zumal Allawi auch das Recht bekommt, militärische oder zivile Befehlshaber in aufständischen Regionen einzusetzen.

„Der neue Irak sollte ein demokratisches Land sein, in dem Menschenrechte respektiert werden. Es könnte einen Konflikt zwischen diesem Ziel und dem neuen Gesetz geben“, erklärte Justizminister Malik Dohan al-Hassan bei der Verkündung des Gesetzes. Gleichzeitig verteidigte er die Entscheidung aber, „da die besonderen Umstände, die alle Bereiche des Lebens bedrohen, dieses Gesetz erzwingen“. Bei den anschließenden Fragen von Journalisten machte der Minister allerdings keinen Hehl daraus, dass das neue Gesetz verkündet wurde, „obwohl nach meiner persönlichen Meinung die irakischen Sicherheitskräfte noch nicht qualifiziert genug sind“.

Der Minister für Menschenrechte rechtfertigte den Schritt mit dem „Recht auf Leben“. Das Leben der Iraker sei von den Kräften des Bösen und terroristischen Banden bedroht, ließ Bakhtijar Amin verlauten. Die derzeitige Lage halte irakische Beamte davon ab, zur Arbeit zu gehen, und hindere ausländische Arbeiter daran, beim Wiederaufbau des Landes mitzuhelfen. Amins Ministerium wird zusammen mit dem Justizministerium für die Überwachung des Gesetzes zuständig sein.

Ein Berater des irakischen Verteidigungsministeriums bezeichnete das Gesetz auf derselben Pressekonferenz als „eine Pflicht, um gegen jene zu kämpfen, die den demokratischen Prozess im Irak stören wollen“. Die Sicherheitskräfte seien „relativ qualifiziert, um die Lage in den Griff zu bekommen“. Ausländische Truppen dürften nur dann intervenieren, wenn die Terroristen irakische Sicherheitskräfte in Bedrängnis brächten.

Nur wenige Minuten nach der Verkündung des neuen Notstandsgesetzes war dieser Fall offenbar bereits eingetreten. Eine Gruppe maskierter Männer und Truppen der neuen irakischen Nationalgarde lieferten sich in der Haifa-Straße mitten im Stadtzentrum Bagdads am helllichten Tag eine heftige Straßenschlacht. Fußgänger und Autofahrer versuchten unter dem Echo von Granaten und Maschinengewehrfeuer panisch der Szene in dem Geschäftsbezirk am westlichen Ufer des Tigris zu entkommen. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums kamen mindestens vier Menschen ums Leben, 20 weitere wurden verletzt, bevor US-Truppen mit gepanzerten Truppentransportern zur Verstärkung anrückten und zwei US-Kampfhubschrauber ein nahe gelegenes Gebäude mit Raketen beschossen.