Krawallparty mit Feuerwehr

Fast jedes Jahr werden Polizisten und Feuerwehrleute in Schnelsen von Jugendlichen angegriffen. Sozialarbeiter erklären das mit fehlenden Angeboten und der Stigmatisierung des Viertels

Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte der zwischen 15- und 65-Jährigen: 49,9 %Arbeitslose in der Altersgruppe: 5,7 %Sozialhilfeempfänger: 5,5,%

Unter 18-Jährige: 20,3%Straftaten je 1.000 der Bevölkerung: 79Gewaltdelikte: 2Diebstahlsdelikte: 46Quelle: Statistisches Amt für Hamburg, 2004

AUS SCHNELSEN ROGER REPPLINGER

In Schnelsen-Süd wird aufgeräumt. Nicht auf den Straßen der „Spanischen Furt“, dem Gebiet um Vörn Brook, Graf-Johann- und Graf-Ernst-Weg. Dort ist von den brennenden Barrikaden und Müllcontainern der Silvesternacht kaum noch was zu sehen. Unaufgeräumt sind bislang die Folgen für die von Raketen und anderen Feuerwerkskörpern beschossenen Feuerwehrleute der Freiwilligen Feuerwehr Eidelstedt geblieben, die Folgen für die Polizei, die in der letzten Nacht des Jahres nicht mehr aus dem Viertel herauskam, und die Folgen für die Jugendlichen.

Schnelsen ist ein heterogener Stadtteil mit 27.300 Einwohnern. Hier stehen Einfamilienhäuser mit gepflegten Vorgärten, und, vor allem in Schnelsen-Süd, Hochhäuser mit ausrangierten Möbeln im Eingangsbereich. Schnelsen-Süd wurde Anfang der siebziger Jahre gebaut. Auf einem elf Hektar großen Gelände entstand ein stark verdichtetes Gebiet mit 800 Wohnungen in denen 2.770 Menschen leben.

Durch die Holsteiner Chaussee, die A 7 und die A 23 ist Schnelsen-Süd räumlich isoliert. Den Kern von Schnelsen-Süd bilden zwei lang gestreckte Hochhäuser: die „Spanische Furt“.

Schnelsen-Süd hat eine überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit, einen hohen Anteil von Haushalten mit extrem niedrigem Einkommen, einen hohen Anteil an Ein-Eltern-Familien, eine hohen und wachsende Zahl an Migranten, eine hohe Fluktuation, Probleme mit Drogen und Kriminalität, eine schlechte Schul- und Bildungssituation, fehlende kulturelle Angebote, fehlende Beschäftigungsangebote.

Am 7. Januar traf sich der Arbeitskreis aller sozialen Einrichtungen des Viertels. Es wurde, „wie jedes Jahr“, sagt Wolf-Peter Fritsche, Sozialarbeiter des Jugendclubs Schnelsen, „über Silvester diskutiert“. Die Polizei war in der Nacht kurz davor, den Befehl „Knüppel frei“ zu geben, und droht, in der nächsten Silvesternacht Wasserwerfer einzusetzen, wenn wieder Feuerwehrleute und Polizisten angegriffen werden.

Bei der Sitzung des Arbeitskreises fragten Polizeibeamte die Mitarbeiter des Jugendclubs, warum sie auf das Chaos an Silvester nicht mit einer Party reagieren. Dann wären die Kids von der Straße weg. „Das würde nichts ändern, auf der Schwelle des Clubs endet unser Einfluss, und wenn die Jugendlichen Rabatz machen wollen, dann tun sie das, ob wir eine Party veranstalten oder nicht“, sagt Fritsche. Trotzdem werden sich die Mitarbeiter des Jugendclubs Gedanken über Silvester machen, um „zur Deeskalation beizutragen“.

Holger Tange, auch er Mitarbeiter des Jugendclubs Schnelsen, glaubt allerdings, „dass Autoritäten aus dem Stadtteil, die Einfluss haben, besser zur Deeskalation beitragen können als wir.“ In Schnelsen wurde eine Arbeitsgruppe gegründet, bestehend aus Jugendclub, Schule, KiFaz und Stadtteilbüro. „Wir wollen alle dazu beitragen, dass sich die Situation hier ändert“, erklärt Kutter-Christoph.

Enis Ayeti, Jugendlicher aus Schnelsen, Honorarkraft des KiFaZ, versteht die Aufregung nicht: „Im Vergleich zu den Vorjahren hat sich die Situation an Silvester gebessert“, sagt er. Fritsche findet, dass es 2007 schlimmer war, „vor 2003 war auch Krawall. Da fuhren keine HVV-Busse durchs Viertel und an den Haltestellen wurden vorsichtshalber die Glasscheiben entfernt.“ Wie in diesem Jahr.

„Die Jugendlichen wollen niemanden verletzten“, versichert Ayeti, „aber die Feuerwehrleute, die brennende Container löschen, sind aus Sicht der Jugendlichen Spaßbremsen“. Die Jugendlichen finden, so Ayeti, „dass die Feuerwehrleute stören“. Er meint, dass man den Kids klar machen muss, „dass sie da falsch liegen“.

Der 19-jährige Enis erinnert sich, dass 2007, als es an Silvester neblig war, Jugendliche Feuerwerkskörper warfen, die eher zufällig Feuerwehrleute trafen: „Die Kids fanden das lustig. Inzwischen ist daraus ein Spiel geworden, wie Cowboy und Indianer. Dass dies kein Spiel ist, ist den Kids schwer zu vermitteln.“

Dies sei, so Kutter-Christoph, eine arme Gegend, „hier ist es langweilig, Silvester ist endlich mal Action, endlich ist was los, Feuerwehr und Polizei rasen durch die Straßen, es brennt und knallt. So betrachten das die Jugendlichen“. Dass Feuerwehrleute Angst um ihre Gesundheit haben, bei der Löscharbeit behindert werden, die sie fürs Viertel tun, „dass kapieren viele nicht“, so Kutter-Christoph.

Fritsche berichtet, dass einige Jugendlichen des Stadtteils die Schnelsen Ghetto-Power (SGP) gegründet haben. „So was stiftet Identität“, sagt Fritsche. Die SGP-Kids haben, so sagt Kollege Tange, einen Feind, „und das ist alles, was von außerhalb kommt“.

Das bekamen auch die Sozialarbeiter zu spüren, die nicht aus dem Stadtteil kamen: „Da war Gegenwind“, sagt Tange, „gegen den man sich durchsetzen muss“. Enis nickt: „Jeder, der neu zu uns kommt, wird erst mal ausgegrenzt. Er muss zeigen, dass er tough ist, und sich nicht alles gefallen lässt.“ Enis findet aber, dass „die Leute, die von außen kommen, dazu neigen, alles, was hier schiefläuft, zu übertreiben“.

Insgesamt gibt es in Schnelsen etwa 700 Kinder und Jugendliche, „von denen machen vielleicht zehn Terz, der Rest schaut zu“, sagt Enis. Im Jugendclub „sind 80 Prozent ruhig, 20 Prozent für die Schäden verantwortlich“, sagt Fritsche.

Christoph-Kutter zufolge haben Schnelsener Jugendliche, die an Schulen anderer Stadtteile oft Probleme. „Es gibt Lehrer, die wollen diese Schüler nicht unterrichten“, sagt sie. In vielen Schulen würden Kinder der „Spanischen Furt“ links liegen gelassen. Die Kinder versuchen dann, „zu zeigen, dass die Stigmatisierung zu Recht besteht“, sagt Fritsche. Kutter-Christoph nickt: „Sie wollen zeigen, dass sie hier tatsächlich im Ghetto sind.“

Die Familie von Enis Ayeti aus Pristina (Kosovo) zeigt, dass es anders geht. Der Vater begann als Gebäudereiniger und hat nun selbst einen Gebäudereinigungsservice. Enis geht aufs Gymnasium und kümmert sich um die Jungen-Gruppe im KiFaZ. Die Jungs sollen sich nicht mit den Rabauken identifizieren, sondern an Enis orientieren. Das klappt und klappt nicht: „Es gibt Kids, die sagen: ,Du bist ein anderer geworden, du bist keiner mehr von uns‘“, sagt Enis.

Kutter-Christoph will mit der Freiwilligen Feuerwehr Eidelstedt Kontakt aufnehmen: „Das wäre vielleicht nicht hat schlecht. Für die Jugendlichen und die Feuerwehr.“