WATCHING OBAMA (4): ROBERT HABECK SCHREIBT FÜR DIE TAZ NORD EIN TAGEBUCH AUS WASHINGTON : Amerikaner denken anders
Zwei Tage dauerte der Kongress „New Challenges and Opportunities for the Transatalantic Partnership“ und überraschend ist erst einmal, wie die politischen Ereignisse diskutiert werden. Die Gegenwart wird nicht ohne eine weite historische Perspektive gesehen. Und die ist: Es gibt seit dem zweiten Weltkrieg ein Erfolgsmodell internationaler Zusammenarbeit: eine Werte-, Interessen-, und Vertrauensgemeinschaft, die amerikanisch-europäische Achse, repräsentiert vor allem durch die Nato.
Das wird so pragmatisch wie pathetisch gesehen. Pragmatisch, weil Nachfragen am kalten Buffet trocken mit dem Ergebnis der Zusammenarbeit gekontert werden. Pathetisch, weil das Ergebnis auf das Höchste abzielt: „Wann hat es jemals zuvor 60 Jahre Frieden und Freiheit in Europa gegeben?“
Deutlich ist, dass ein Zweifel an den Institutionen des Westens, ein Verweis auf ihre Schattenseiten, in dieser Runde nicht verstanden werden wird, weil er nicht verstanden werden kann (und die Leute, die an der Konferenz teilnahmen, haben zu gefühlten 100 Prozent Obama gewählt und arbeiten teilweise in seiner neuen Regierung). Er kann nicht verstanden werden, weil der amerikanische Diskursstil sich vom europäischen unterscheidet: Man interpretiert die Wirklichkeit nach Wertmaßstäben. Daran misst man das eigene Handeln. Erst kommt das Große, dann löst man das Klein-Klein. In Deutschland ist es genau umgekehrt.
Dass Obama die transatlantische Partnerschaft wiederbeleben will, bedeutet, dass er eine gemeinsame Interessenlage sieht und diese durchsetzen will. Das ist eine schlechte Nachricht, für alle, die diese Interessenlage nicht sehen. Es ist eine gute für die, die sich darauf einlassen können und versuchen, die amerikanische Außenpolitik so ebenfalls zu beeinflussen und zu verändern. Die USA werden sich, wenn der Anlauf zu einer neuen Partnerschaft jetzt nicht gelingt, andere Partner suchen. Der Feind der Freundschaft ist nicht Ablehnung, es ist Desinteresse.
Auf welchem Feld die neuen Allianzen erricht werden sollen, wurde mehr als deutlich. Die demokratischen Think-Tanks, mit einigen prominenten Vertretern bei der Tagung, haben längst die Energiepolitik als neue Sicherheitsherausforderung ausgemacht. Klimaschutz spielt da zwar auch mit rein, im Wesentlichen aber geht es darum, „unsere Häuser im Winter warm zu halten und die Wirtschaft auf Touren“.
Konkret wurde über eine Energie-NATO diskutiert – bis hin zum Eintritt des Kriegsfalls, falls es keine Lieferungen gibt. Das klang sehr nach einer Rechtfertigung der Irak-Kriege und nach einem Eingeständnis der wahren Ursachen. Dahinter steht eine neue Weltordnung, die Frage, ob man China mit einbindet oder als Konkurrenten betrachtet, und ob die USA sich zwischen Asien und Europa werden entscheiden müssen. Christian Wernicke von der Süddeutschen brachte es auf den Punkt: „Die zweitgrößte Überraschung, die die Obama-Administration bereit hält, wird sein, wenn die Europäer merken, dass Obama ein amerikanischer Präsident ist. Die größte wird sein, wenn er es selbst merkt.“
Robert Habeck schreibt für die Heinrich-Böll-Stiftung ein „Diary of Change“ (www.boell.de)
Autorenhinweis:ROBERT HABECK, 39, ist Schriftsteller und Parteichef der Grünen in Schleswig-Holstein. Derzeit besucht er Washington auf Einladung der Heinrich-Böll-Stiftung. FOTO: DPA