Die Mall ist das Ende der Geschichte

Die Realität ist eine unschöne Spiegelwelt. Dan Graham zeigt in der daadgalerie seinen kruden Shopping-Mall-Film „Death by Chocolate“

VON RONALD BERG

Bekannt ist der multimedial arbeitende Konzeptkünstler Dan Graham in Berlin vor allem durch seinen als Café benutzen Pavillon-Bau im Hof der Kunstwerke und einer begehbare Glasskulptur vor dem Heizkraftwerk in Mitte. Graham hat eine ganze Reihe solch spiegelnder Glasgebilde geschaffen, bei denen der Raum die Menschen in eine merkwürdige Beziehung zueinanderbringen, zwar sichtbar aber doch voneinander abgeschirmt, ähnlich wie bei den spiegelnden Bürohäusern in Grahams US-amerikanischer Heimat oder im Inneren der Shopping Malls, die mit Spiegelglas Weite vorgaukeln.

Eine dieser Einkaufswelten („West Edmonton Shopping Mall“) hat Dan Graham mit der Videokamera besucht. Der Film läuft jetzt als Teil des Berlinale Forum Expanded in der daadgalerie. Graham weilte als Stipendiat des DAAD-Künstlerprogramms 1976 im westlichen Teil der Mauerstadt. Das aktuelle, achtminütige Video, aufgenommen mit wackeliger Handkamera, technisch in mieser Auflösung, meist ohne Ton und schnittdramaturgisch offenbar kaum bearbeitet, liegt cineastisch gesehen am Nullpunkt jeglicher Ästhetik. Das Video eines der „einflussreichsten Konzeptkünstler der Gegenwart“, wie Graham bei seinem Vortragsbesuch im Hamburger Bahnhof angekündigt wurde, muss also Kunst sein, und da gelten andere Regeln, alles ist erlaubt.

Graham hat selbst bekannt, dass er bei seinen Arbeiten an Form weniger interessiert sei als an In-Formation. Graham ist ja auch nie künstlerisch ausgebildet worden, vielmehr hat er Philosophie studiert. Der Eintritt des heute 67-Jährigen in die Kunst passierte in den Sechzigerjahren als Galerist, dann als Kritiker, wobei er schließlich seine Texte in Zeitschriften auch mit eigenen Fotografien illustrierte. So bei „Homes for America“. Der Zeitschriftenbeitrag erschien 1966 und behandelte im Grunde dasselbe Thema mit ähnlich rudimentärer Ästhetik wie das Video beim DAAD und die ihm beigegebene Diaserie über „New Jersey“: die aus Menschenhand erzeugte Umwelt des provinziellen Amerikas. Hier die Shopping Mall, dort die Häuschen in Suburbia. Bleibt die Frage: Worüber informiert Graham eigentlich? „Death by Chocolate“, der von einer im Film auftauchenden Markenreklame abgeleiteten Titel des Videos, zeigt ausschließlich das, was jeder Besucher im Inneren der Mall mit eigenen Augen sehen kann. Allerdings gilt Grahams Augenmerk nicht den Waren, zu deren Verkauf die Malls errichtet wurden, sondern den diversen Attraktionen, die den Verkaufsraum zu einer Art künstlichem Paradies werden lässt – oder was der amerikanische Konsument dafür hält, als da wären: Riesenschaukeln, Wasserscooter mit eingebauter Spritzpistole, Karaokestudios und Flamingos, ja auch der Schaukampf mit Leoparden als abwechslungsreicher Nervenkitzel gehört dazu.

All das zeigt sich in einem artifiziellen Niemandsland, wobei die (Innen-)Architektur offenbar darauf ausgelegt ist, ihre Faktizität – unter anderem durch den Einsatz von Spiegeln – zu verleugnen. Es gibt viele auch architektonische Gimmicks wie gläserne Fahrstühle oder endlose Wasserrutschen, aber die Shopping Mall besteht eigentlich nur aus Kulissen, die den realen Ort, worin man sich gerade befindet, vergessen machen sollen. Eine Beziehung zum Außen gibt es in dieser hermetischen Kunstwelt ohnehin nicht. Auch gibt es die Zeit hier nicht und damit auch keine Geschichte. Die Aufnahmen im Video stammen von 1986 und 2005, ohne dass erkennbar wäre, dass sich in der Mall etwas verändert hätte. Wie es zu Hause bei den Shopping-Mall-Besuchern aussieht, zeigen die Dias aus „New Jersey“. Graham ist in dem Bundesstaat aufgewachsen. Die wie beiläufig fotografierten Ansichten der gesichtslosen Hausfassaden, Terrassen und Veranden, die etwas (verspiegelten!) Einsichten auf Ladenauslagen oder Wohnzimmersofas, der Blick auf aufblasbare Kinderspielzeuge im Vorgarten oder auf Picknickplätze, all das zeigt eine meist menschenleere zeit- und ortlose Lebenswelt als Biotop der amerikanischen Mittelklasse. Alles wirkt wie Kulisse, wie ohne individuellen Ausdruck, wie leblos. Die Eigenheime scheinen den Charakter von Waren zu haben, die man irgendwo gekauft hat.

Obwohl 2006 entstanden, sehen die Fotos kaum anders aus als Grahams erste Aufnahmen zum Thema aus den Sechzigerjahren. Das Ende der Geschichte muss wohl kurz vorher eingetreten sein. Das Ende jeglichen Anspruchs auf Ästhetik, Geschmack und verfeinerte Kultur wohl ebenfalls. Insofern ist Grahams konzeptueller Ansatz, bei seinen Fotos auf jede Form von künstlerisch aufgehübschter Ästhetik zu verzichten, dem gewähltem Sujet ganz und gar angemessen.

Bis 22. März 2009, daadgalerie, Zimmerstr. 90/91