Friede der Platte

Städteplanung hilft nicht immer: Eine Diskussion im Haus der Demokratie und Menschenrechte zum umstrittenen Thema „Rechtsextremismus – eine Begleiterscheinung in schrumpfenden Städten?“

VON JAN-HENDRIK WULF

Für Enoka Ayemba von der Flüchtlingsinitiative Brandenburg stellt sich der alltägliche Gang ins Rathenower Einkaufszentrum als unmittelbares Problem dar, das sich nicht so einfach auf eine einzige Ursache reduzieren lässt: „Was soll mich an schrumpfenden Städten interessieren? Sollte man deswegen Migranten angreifen müssen?“ Auch unter den anderen fünf Podiumsgästen, die im Haus der Demokratie und Menschenrechte zusammengekommen sind, um vor rund 50 Zuhörern das Thema „Rechtsextremismus – eine Begleiterscheinung in schrumpfenden Städten?“ zu diskutieren, möchte keiner einen zwingenden Zusammenhang zwischen rechter Geisteshaltung und den urbanen Transformationsprozessen in Ostdeutschland erkennen.

Das gibt schon Rainer Erb vom Zentrum für Antisemitismusforschung in seinem Eingangsreferat unmissverständlich vor: „Wir kennen Wandel in vielen Städten der Welt, ohne dass sich dort rechtsextremistischer Protest regt.“ Für Erb liegen die Ursachen für den ostdeutschen Rechtsradikalismus vor allem darin, dass sich die Politik nach der deutschen Wiedervereinigung auf marktliberale Positionen zurückgezogen habe. Die schrumpfenden Städte in Ostdeutschland seien das Resultat der Laisser-faire-Politik. Dadurch seien zugleich Entsolidarisierungsprozesse befördert worden: „Es gibt ein Vakuum politischer Programmatik, das durch rechte Ideologie gefüllt werden kann. Überholte Solidarverhältnisse wie die Volksgemeinschaft werden attraktiv.“ Doch Erb hält eine Alternative bereit: „Mein Gegenmodell zum Bürger als egoistisch-rationalem Konsumenten ist der Bürger als Patriot, denn die deutsche Einheit ist eine Gemeinschaftsaufgabe.“ Patriotische Gefühle sind für Erb keine Ressource, die zum beliebigen Gebrauch freigegeben werden kann, sondern demokratisch besetzt werden muss. Analog zu einer in der Vergangenheit oft versuchten städteplanerischen Überformung des öffentlichen Raumes zur Lösung sozialer Probleme, die – womöglich in Ermangelung eines Architekten auf dem Podium – hier gar nicht zur Sprache kommt, erscheinen Mentalitäten als durch Politik ebenso bedauerlich manipulierbar wie in erwünschter Weise formbar.

Wie eingeschränkt das in der Praxis funktioniert, weiß der Bürgermeister von Wolgast, Jürgen Kanehl, zu berichten. Kanehl erkennt Wechselbeziehungen zwischen urbaner Schrumpfung und rechter Ideologie: Auswärtige Kapitalgeber bleiben aus, wenn das städtische Umfeld für die mitreisende Familie nicht stimmt. Und weil sich die Wolgaster nicht aktiv genug gegen rechte Tendenzen in ihrer Kommune wehrten, setzte Kanehl auf Druck von oben: „Wir haben versucht, mit Hilfe der Polizei den vorhandenen Gesetzesrahmen rigoros auszuschöpfen.“ Für sichtbar in Erscheinung tretende Rechtsradikale hagelt es seitdem Platzverweise. Und als Ende der Neunzigerjahre die rechte Szene im Neubaugebiet Wolgast-Nord „national befreite Zonen“ ausrief, konnte der Bürgermeister den weiteren Zuzug rassistischer Mieter gezielt verhindern – glücklicherweise ist die unrentable Platte kommunales Eigentum.

Doch mit dem urbanen Exodus der Rechten hat sich das Problem für Kanehl nur verlagert: „Die Szene hat sich aus der Stadt ins Umland zurückgezogen.“ Mittlerweile siedelt die vorpommersche Rechte in Kleingärten und einsamen Gehöften. Und in der Stadt selbst hat sich der ehemalige Fascho womöglich nur oberflächlich in den smarten Jungen von nebenan verwandelt. „Den Kampf um ein Asylbewerberheim haben wir nicht mehr mit der NPD geführt, sondern mit der Bürgerinitiative Schöner Wohnen in Wolgast-Nord‘ “, berichtet Kanehl konsterniert.

Die Diskutanden sind sich uneins, ob sie darin nur ein raffiniertes Spiel der Rechten oder gar den ersten Schritt zur deren demokratischer Selbstassimilierung sehen wollen. Hier meldet sich aus dem Publikum der Berliner Architekt Philipp Oswalt zu Wort: „Wie ist es möglich, dass marginalisierte Teile der Gesellschaft den öffentlichen Raum dominieren? Weist das nicht auf eine Krise zivilgesellschaftlicher Zusammenhänge?“

Oswalt leitet seit zwei Jahren das von der Bundeskulturstiftung mit 3,3, Millionen Euro geförderte Projekt „Schrumpfende Städte“, das den kulturellen Aspekten urbaner Schrumpfung nachgeht. Und obwohl Oswalts Frage unbeantwortet bleibt, tritt ein Zusammenhang in der Diskussion deutlich zutage: Urbane Schrumpfung ist nicht allein ein städtebauliches Phänomen, sondern zeigt sich auch im Rückzug der Stadtbewohner ins Private.