Gegenseitige Komplimente

Kaum taucht am linken Rand eine Wahlalternative auf, sprechen sich PDS und Grüne gegenseitig ein linkes Profil ab. Zwei Nachfragen bei den Fraktionschefs Sibyll Klotz (Grüne) und Stefan Liebich (PDS)

INTERVIEW RICHARD ROTHER

taz: Frau Klotz, Grüne und PDS beharken sich in Berlin im Moment recht stark, was die Debatte um Hartz IV angeht. Fürchten Sie die Konkurrenz der diversen linken Initiativen und Wahlbündnissen?

Sibyll Klotz: Wenn wir den rot-roten Senat kritisieren, hat das nichts mit linken Wahlbündnissen zu tun, sondern weil wir Mängel bei der Umsetzung von Hartz IV durch die Landesregierung sehen. Die verschiedenen Wahlalternativen und Volksbegehren sind Ausdruck einer Unzufriedenheit mit der Politik des rot-roten Senats, aber auch mit der der rot-grünen Bundesregierung. Deshalb muss man sie ernst nehmen und schauen, was da für programmatische Alternativen entstehen.

Fürchten Sie die Initiativen?

Gefürchtet habe ich mich noch nie. Ich finde es eher positiv, wenn inhaltlich-programmatische Alternativen zur gegenwärtigen Politik aufgezeigt werden. Die Initiativen sind aus bestimmten Kritiken und aus verschiedenen Gruppen entstanden – zum Beispiel von der GEW, der Polizeigewerkschaft oder Menschen, die sich gegen die Risikoabschirmung bei der Bankgesellschaft einsetzen. In erster Linie geht es also um Landespolitik. Zum Teil teile ich diese Kritik, aber ich kann mich nicht als Grüne an die Spitze der Bewegung setzen.

Lenken Sie durch die landespolitische Kritik nicht von der Hartz-IV-Reform ab, die Ihre Partei auf Bundesebene mitgestaltet hat?

Nein. Ich wehre mich nur gegen Vorwürfe aus der PDS, die Grünen hätten scheinheilige Positionen. Das Kompliment gebe ich gern zurück. Die Position der Berliner Grünen zu Hartz ist völlig klar: Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe ist richtig, aber etliche Details kritisieren wir deutlich. Das reicht von den Zumutbarkeitsregelungen bis hin zur Anrechnung von Vermögen, die fürs Alter angespart wurden. Trotzdem kann ich anmahnen, dass die PDS in ihrer Regierungsverantwortung die Chancen nutzt, die Hartz IV für Berlin auch bietet.

Das geschieht nicht?

Im Windschatten von Hartz wurden die Landesmittel für aktive Arbeitsmarktpolitik, insbesondere für Sozialhilfeempfänger, eklatant zurückgefahren. Das kritisiere ich. So lange sich Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) Polster im Haushalt anlegt, kann ich erwarten, dass ein rot-roter Senat aktive Arbeitsmarktpolitik finanziert – und das nicht nur vom Bund erwartet.

Durch Hartz IV werden viele Berliner deutlich weniger Geld in der Tasche haben. Was ist da noch positiv?

In der Höhe des Arbeitslosengeldes II sehe ich keine positiven Ansätze, das sind einfach Leistungskürzungen – da muss man nicht drum herumreden. Zum Beispiel ist die Anrechnung des Partnereinkommens frauenpolitisch nicht in Ordnung, das habe ich von Anfang gesagt. Aber es ist auf Bundesebene anders entschieden worden. Andererseits gibt es durch die Reform mehr Möglichkeiten auf der kommunalen Ebene, vernünftige Beratung, Betreuung und Beschäftigung für Arbeitslose zu organisieren. Es wird aufhören, dass Leute vom Arbeitsamt zum Sozialamt und zurück geschickt werden. Leute, die Sozialhilfe bezogen haben, haben bislang keinen Zugang zu Maßnahmen der Arbeitsagentur, etwa Weiterbildung. Das muss jetzt ausgestaltet werden.

Wie muss man sich das vorstellen?

Vernünftig organisierte kommunale Beschäftigung – kein Arbeitsdienst, da bin ich mit PDS-Sozialsenatorin Knake-Werner einer Meinung – ist in Bereichen notwendig und möglich, für die das Land Berlin ohnehin kein Geld hat. Diese Chance muss der Senat jetzt nutzen.

Die Arbeitsagentur hat angekündigt, dass die Tendenz hin zu den so genannten Arbeitsgelegenheiten geht.

Das Hartz-IV-Spektrum reicht von sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung bis zur gemeinnützigen Arbeit. Die lehne ich nicht grundsätzlich ab, weil sie der Integration in den Arbeitsmarkt dienen kann. Wenn jemand ein viertel Jahr braucht, um sich an bestimmte Strukturen in der Arbeitswelt zu gewöhnen, kann eine solche Beschäftigung sinnvoll sein. Aber das darf nicht als Arbeitsdienst missverstanden werden.

INTERVIEW STEFAN ALBERTI

taz: Herr Liebich, Ihre Partei gab doch immer vor, der alleinige Rächer der Witwen und Waisen zu sein. Wie kann sich da parallel zur PDS eine neue Linkspartei mit gleichem Tenor bilden?

Stefan Liebich: Ich stelle es erst mal in Frage, ob diese neue Struktur wirklich eine linke ist. Das wird sich erst an ihrem Programm zeigen.

Das ist doch da: soziale Gerechtigkeit – das PDS-Programm.

Mich erinnert da vieles an die Sozialdemokratie der 70er-Jahre. Dass man etwa versucht, viel über Keynes zu regeln, also über staatliche Hilfe.

Ist das etwa nicht links?

Das war es in den Siebzigern schon. Aber zu links gehört noch mehr: emanzipatorische oder bürgerrechtliche Politik – und das spielt bei dieser neuen Struktur überhaupt keine Rolle.

Sie können doch nicht bestreiten, dass Sie da eine Entwicklung verschlafen haben.

Sicher müssen wir das auch als Kritik an uns verstehen. Aber in Ostdeutschland, wo wir stark sind, haben sich diese Strukturen ja auch nicht gebildet.

Doch gerade ihre kleinen Westgruppen hätten doch die erste Anlaufstelle für unzufriedene Linke sein müssen.

Es gibt im Kreise dieser Wahlalternativen zwei Kritikpunkte an uns. Zum einen, dass die PDS aus der SED hervorgegangen sei. Zum anderen, dass die PDS in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern mitregiert und dort nicht das tut, was die Wahlalternative erwartet. In Berlin muss man überhaupt noch mal differenzieren: Ob es links ist, mehr Polizisten und mehr Lehrer einzustellen, wie gefordert wird, stelle ich erst mal in Frage.

Die Grüne Sibyll Klotz sagt, die Parteigründung sei für die PDS ein vernichtendes Zeugnis.

Ich finde eher interessant, dass die Grünen als Anlaufstelle für soziale Gerechtigkeit gar nicht mehr auftauchen. Offenkundig ist die Erwartung weg, sie könnten da etwas bewegen.

Die Grünen sind für Sie keine Linkspartei mehr?

Das ist die Frage. Früher schon, und der Landesverband kämpft, dieses Profil zu halten. Aber heute? Die Grünen haben zwar eine steigende Wählerzahl. Aber diese Menschen wählen Grün, weil sie gesundes Essen haben wollen und keinen Atomstrom. Das ist ja lobenswert, aber mit sozialer Gerechtigkeit hat das nichts zu tun.

PDS und Grüne hauen bei Hartz IV besonders aufeinander ein. Werden Sie nervös, dass eine weitere Partei auf der Linken den Spielraum einengt?

Nein. Die letzten Wahlen zeigen, dass das Gesamtergebnis für die Parteien links von der CDU in Berlin konstant ist. Das wird sich durch eine neue Linkspartei dauerhaft nicht ändern.

Umso mehr gilt doch: Stärker abgrenzen, weil in diesem gleich bleibenden Potenzial bald einer mehr mitfischt.

Es ist doch gar nicht klar, dass es linke Wähler sind, die jetzt unzufrieden sind. Frustrierte Berliner Beamte etwa sind doch keine potenziellen Wähler linker Parteien. Für uns gilt: Nach dem Europawahlergebnis macht es keinen Sinn, wenn sich die PDS mit einer am Boden liegenden SPD auseinander setzt, wohl aber mit den Grünen. Da erhoffe ich mich schon Verschiebungen zur PDS.

Den Berliner Grünen wollen Sie nicht mehr durchgehen lassen, hier zu kritisieren, was sie im Bund mittragen. Wollen Sie einer Oppositionsfraktion die eigene Meinung absprechen?

Will ich nicht. Aber die hiesigen Grünen sind kein ein eigenes Universum, sondern Teil der Gesamtpartei. Auf Bundesebene koalieren sie mit derselben Partei, mit der wir in Berlin verbunden sind. Die müssten sehr gut wissen, dass man da Kompromisse schließen muss. Kritik an Clement bei Hartz IV kommt zwar, ist aber im Vergleich zu der an unseren Senatoren Knake-Werner und Wolf ziemlich leise. Mit der Bundespolitik nichts zu tun haben und nur die Guten sein wollen – das geht nicht.

Was wollen Sie dagegen machen? Nach jeder Rede anfügen: die Grünen sind mit schuld?

Nein, wir werden es aber laut sagen. Wenn wir hier in Berlin die Schleierfahndung abschaffen, dann möchte ich schon sagen dürfen, dass die Schleierfahndung auf Bundesebene noch existiert. Mancher von uns fühlt sich da unwohl, wegen gemeinsamer Zeit in der Opposition. Ich sage: Ein schlechtes Gewissen ist da unangebracht.