In jeder Lage

Allrounder Michael Phelps schwimmt wieder einmal Weltrekord und hat bei Olympia Großes vor

BERLIN taz ■ Das donnernde Trampeln der Füße auf der Tribüne konnte Michael Phelps sogar unter Wasser hören, so laut wie es war. Gut 7.000 Zuschauer gerieten schon aus dem Häuschen, als der 19-jährige Schwimmstar vom North Baltimore Athletic Club bei den Trials im kalifornischen Long Beach, der amerikanischen Olympiaausscheidung der Schwimmer, ins Wasser stieg; und als er nach 400 Meter Lagen mit neuem Weltrekord wieder heraus kletterte, spielten sie vollends verrückt. 4:08,41 Minuten hatte Phelps gebraucht, damit seinen eigene Bestmarke um 68 Hundertstelsekunden unterboten – und doch war es nun gut, dass wenigstens einer die Nerven behielt in all dem Trubel. „Ich bin froh, diesen Wettbewerb hinter mir zu haben. Der erste Schritt ist abgehakt. Jetzt ruhe ich mich etwas aus und konzentriere mich auf den nächsten“, sagte Phelps, winkte ins Publikum – und verschwand.

Der junge Mann hat noch Großes vor, vor allem bei den Olympischen Spielen. Er hält Weltrekorde in drei Disziplinen, ist vierfacher Weltmeister und Amerika erwartet von ihm, dass er der Superstar von Athen wird. Einen Bonus von einer Million Dollar hat sein Sponsor Speedo ihm versprochen, wenn er mehr Goldmedaillen als Mark Spitz 1972 in München gewinnt. Das waren damals sieben, und der Rekord reizt den Teenager: „Das Ziel macht es leichter, sich morgens um fünf zum Training zu quälen.“

Theoretisch könnte Michael Phelps in bis zu einem Dutzend der sechzehn olympischen Schwimmdisziplinen Medaillen gewinnen – das schwimmerische Vermögen dazu hat er. Einzig der Terminablauf in Athen hindert ihn daran – er müsste bis zu drei Finals in einer Stunde bestreiten. Und so bastelt das Phänomen zusammen mit seinem Trainer Bob Bowman seit Monaten an verschiedenen Szenarien, wägt Chancen und Risiken verschiedener Programme ab. Nach den Trials, bei denen Phelps noch über 200 m Lagen, 100 m und 200 m Schmetterling, 200 m Rücken sowie 200 m Freistil an den Start gehen will, wollen die beiden die Entscheidung treffen.

Jeder andere Schwimmtrainer der Welt beneidet Bowman um diese Entscheidungsschwierigkeiten. Noch nie gab es einen Schwimmer, der so vielseitig war. Nicht Mark Spitz und auch nicht Michael Groß. Spitz und Groß waren in Schmetterling und Freistil Weltspitze – Phelps gehört in allen vier Schwimmarten zu den Besten.

Derartiges galt bislang im Schwimmsport als unmöglich. Aber irgendetwas als unmöglich zu akzeptieren, ist nicht die Art von Bob Bowman. Am schwarzen Brett der Trainingshalle von Mt. Washington, wo Phelps trainiert, hängt neben Trainingsplänen und Ranglisten das Credo des pausbäckigen kleinen Mannes. „Sieben Stufen der Veränderung“ heißt seine Powerpoint-Philosophie – angefangen mit Effektivität, über Effizienz, Verbesserung, über das Weglassen alles Überflüssigen, das Kopieren erfolgreicher Leute bis hin zum letzten Schritt: Das zu tun, was als unmöglich gilt.

Phelps und Bowman sind definitiv beim letzten Schritt angelangt. Allerdings wusste Bowman schon, dass er mit Phelps den siebten Schritt erreichen kann, als er den 10-jährigen Jungen zum ersten Mal schwimmen sah. Ab diesem Zeitpunkt arbeitete er konsequent mit Phelps darauf hin, einmal die Schwimmwelt aus den Angeln zu heben. Und eben weil Bowman schon in dem Jungen den jetzigen Superstar sah, bereitete er ihn schon damals auf das vor, was er jetzt leisten muss. „Ich habe ihn von Anfang an dazu gezwungen, sich extrem zu fordern, mental und körperlich. Als er elf war, habe ich ihn einmal bei einem Wettkampf in zwei Tagen 24-mal starten lassen.“ Fünf Starts pro Tag gelten im Schwimmen als machbar. Das Ergebnis dieser Schule war bei der letzten WM zu bewundern: Phelps holte sechs Medaillen und schwamm fünf Weltrekorde, zwei davon innerhalb einer Stunde.

Dass Phelps sich nicht auf eine oder zwei Disziplinen spezialisiert, ist für seinen Trainer indes eine normale altersgemäße Entwicklung. Nur dass die meisten Schwimmer erst Rekorde schwimmen, nachdem sie sich spezialisieren. Auch Phelps, so Bowman, werde sich in den kommenden Jahren auf die eine oder andere Disziplin festlegen. Und dann, so Bowman, seine eigenen Rekorde ins Entrückte schieben: „Er ist frühestens in drei Jahren ausgereift.“ SEBASTIAN MOLL