Echtes Polen-Schnäppchen

Viele Deutsche machen nun ihren Führerschein im Nachbarland Polen – weil es dort billiger ist. Leider wollen die deutschen Behörden ihn nicht anerkennen. Da hilft nur eins: kurz in Polen wohnen

AUS WARSCHAU GABRIELE LESSER

Noch hat es keine Karambolage gegeben, aber sie steht kurz bevor: Deutschland und Polen streiten mal wieder. Diesmal geht es um die wichtige Frage, wer deutschen Staatsbürgern einen Führerschein ausstellen darf. Etwa auch die Polen? Immerhin sind sie nun in der EU, Autofahren können sie auch, und seit dem 1. Mai sind polnische Führerscheine EU-weit anerkannt. Was also liegt da näher, als den preisbewussten Nachbarn ein unschlagbares Angebot zu machen? Drei Wochen Sommer, Sonne, Strand und Ostsee, Ferienspaß und Führerschein – das Ganze für nur 999 Euro. Gefahren wird in neuen Fiat Pandas, 30 Stunden Theorie und 30 Stunden Praxis, Prüfung in deutscher Sprache – alles wie in deutschen Landen, nur eben gut die Hälfte billiger. Ein echtes Polenschnäppchen.

Doch die Sache hat einen Haken. Frisch gebackene Führerscheinbesitzer, die ihren günstig erworbenen Schein mit dem großen „P“ in der linken Ecke in ein deutsches Dokument umtauschen wollen, müssen zwei harmlos klingende Fragen beantworten. Wohnhaft in Polen für mindestens 185 Tage? Oder wohnhaft in Deutschland? Wer die zweite Frage mit Ja beantwortet, ist seinen Führerschein wieder los und die 999 Euro auch. Jedenfalls theoretisch und nach deutschem Recht.

Aber so einfach ist das in Europa nicht. Vor kurzem hat der Europäische Gerichtshof in Luxemburg einem Kläger Recht gegeben, der seinen Führerschein in den Niederlanden machte – als Deutscher und ebenso preisgünstig. Deutsche Beamte verwiesen jedoch pingelig auf das Wohnsitzprinzip, nahmen dem Besitzer seine niederländische Fahrerlaubnis wieder ab und sahen den Fall als erledigt an.

Der ums Fahrvergnügen Geprellte wollte dem Schnäppchen-Führerschein aber kein teures Geld hinterherwerfen und noch mal eine Fahrprüfung in Deutschland ablegen. Er zog vor den Kadi und bekam Recht. Am 29. April verkündete der Europäische Gerichtshof das Urteil: „Deutschland darf einem von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein nicht deshalb die Anerkennung versagen, weil zum Zeitpunkt der Führerscheinausstellung der ordentliche Wohnsitz in Deutschland und nicht im Ausstellerstaat war.“

Ein klares Urteil, möchte man meinen: Der Ferienführerschein in den Niederlanden oder in Polen ist also doch legal und gilt auch in Deutschland. „Nein“, widerspricht Michael Zirpel, der Pressesprecher des Bundesverkehrsministeriums. „Das Urteil besagt nur, dass wir niemanden den nach unserer Rechtsauffassung ungültigen Führerschein abnehmen können. Das darf allein die ausstellende Behörde tun.“

Rein praktisch gesehen müssten also die deutschen Ordnungshüter das polnische Verkehrsamt, das den Ferienführerschein ausgestellt hat, um eine Prüfung bitten: „Hat der Ferienfahrschüler mindestens 185 Tage in Polen gewohnt?“ Sollte dies nicht der Fall sein, müsste die Behörde den Führerschein wieder einziehen. Doch diese Prüfung dürfte den polnischen Beamten gar nicht so leicht fallen. Denn Polen wohnen selten dort, wo sie auch gemeldet sind. Selbst die Wasser-, Gas-, Strom- und Telefonrechnungen lauten oft auf völlig verschiedene Namen. Wer kann, meidet die öden Ämterkorridore. Kaum jemand meldet sich nach einem Umzug um. Oder informiert gar das Wasserwerk, dass der Vorvormieter bereits vor zwanzig Jahren verstorben ist und man nun die Rechnung gerne unter eigenem Namen bezahlen würde.

Selbst in amtlichen Formularen unterscheidet man in Polen zwischen Melde- und Wohnadresse. Ob die Wohnadresse auch wirklich die Wohnadresse ist, prüft normalerweise niemand nach. Solange alle Rechnungen bezahlt werden, ist für die Behörden alles in Ordnung. Sollte nun also ein deutscher Ferienfahrgast beteuern, dass er schon mindestens 185 Tage bei Pani Kowalska in der Papst-Johannes-Paul-II.-Allee wohne und Pani Kowalska dies bestätigen, wäre für das polnische Führerscheinamt alles klar: Wohnsitz Polen.

„Wir sind ein dicht besiedeltes Land“, gibt Michael Zirpel vom Bundesverkehrsministerium zu Bedenken. „Für uns zählt Sicherheit auf der Straße zu den höchsten Gütern.“ Der polnische Ferienführerschein erfülle zwar den EU-Standard, entspreche aber nicht dem höheren deutschen Prüfungsniveau.

Ganz anderer Ansicht ist da allerdings das von Springer in Polen herausgegebene Boulevardblatt Fakt: „Unser Führerschein ist nicht schlechter als der deutsche.“ Die Deutschen, so Fakt, würden nur deshalb gegen den polnischen Schnäppchenführerschein protestieren, weil die polnischen Fahrschulen Gewinn machten und die deutschen Verlust.