Wähler, was willst du?

Nein zur Vermögensteuer, ja zum Dosenpfand, nein zur SPD: Der Wähler ist in seinen Meinungen oft widersprüchlich

Die SPD liegt bei 24 Prozent – wegen der Agenda 2010. Das Paradox: Viele Menschen denken, dass Schröders Reform ihnen erst noch bevorsteht

VON ULRIKE HERRMANN

Keine Regierung will ohne Meinungsforschung auskommen. Das Kohl-Kabinett gab dafür etwa 6 Millionen Mark aus – jährlich. Schröders Bundespresseamt darf knapp 2 Millionen Euro für Umfragen aufwenden. Hinzu kommen noch Sonderaufträge aus einzelnen Ministerien.

Die Ergebnisse der Regierungsumfragen bleiben zwar intern – aber sie dürften nicht deutlich von den Erkenntnissen abweichen, die sowieso auf dem Markt zirkulieren. Denn natürlich interessieren sich auch Medien und Lobbygruppen für die Präferenzen der Wähler. Das „Politbarometer“ wird von Regierung und ZDF sogar gemeinsam finanziert. Also: Was sieht die rot-grüne Ministerriege, wenn sie ihrem Volk aufs Maul schaut? Ist sie unwiderruflich gescheitert? Oder gibt es noch Projekte, die viele Wähler begeistern können?

Vordergründig scheinen zumindest einige Zahlen glasklar zu sein. Zum Beispiel in der Gesundheitspolitik. Es muss Rot-Grün einfach freuen, dass die meisten Bürger die Kopfpauschale ablehnen, die CDU-Chefin Angela Merkel favorisiert. Je nach Umfrage plädieren nur 16 bis 23 Prozent dafür, dass jeder Erwachsene die gleiche Prämie in die Krankenkassen einzahlt. Stattdessen ist die Mehrheit für die Bürgerversicherung, an der SPD und Grüne werkeln. Angesichts dieser Voten muss es verwundern, dass Merkel so störrisch an einem Verliererprojekt festhält.

Doch vielleicht sind diese Umfragedaten gar nicht aussagekräftig? „Viele Leute wissen überhaupt nicht, was eine Kopfpauschale ist“, stellt Manfred Güllner fest. Der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa bemängelt, dass allzu viele Umfragen die Testpersonen überfordern. „Da werden Fragen an einfache Bürger gestellt, die sich an Experten richten.“

Dass viele Bürger die Entscheidungsoptionen nicht verstehen, scheint auch eine Umfrage nahe zu legen, die „repräsentativ im Internet“ durchgeführt wurde. Dort glaubte immerhin ein knappes Viertel, dass die Bürgerversicherung die Renten-, Arbeitslosen- und Krankenversicherung zusammenlegt. Nur ungefähr zwei Drittel wussten, dass bei der Bürgerversicherung alle Bevölkerungsgruppen in die gesetzlichen Krankenkassen einzahlen. Gleichzeitig ermittelte die Umfrage, dass die Ignoranz teilweise geschlechtsspezifisch sei: 70,9 Prozent der Männer beschrieb die Bürgerversicherung korrekt, aber nur 56,8 Prozent der Frauen.

Internetumfragen werden immer beliebter, und zudem wirkt es unübertroffen objektiv, wenn Umfrageergebnisse bis auf die Kommastelle genau ausgewertet werden. Allerdings ist es eine methodische Herausforderung für eine „repräsentative Internetumfrage“, tatsächlich repräsentativ zu sein. Denn nur etwa 37 Millionen Menschen sind in Deutschland regelmäßig online. Die Marktforschungsfirma FeldTeam hat daher zur Bürgerversicherung nur Jüngere befragt, die fast alle das Internet nutzen. „Für über 49-Jährige können wir keine Aussagen treffen“, schränkt Geschäftsführer Marcus Müller die eigenen Ergebnisse ein.

Aber auch traditionelle Telefonumfragen oder Interviewgespräche generieren oft Zahlen, die zunächst außerordentlich konfus wirken. Der Bürger scheint nicht zu wissen, was er will. So hat Allensbach kürzlich herausgefunden, dass immer mehr Wähler eine „Gerechtigkeitslücke“ beklagen. Inzwischen finden 63 Prozent der Bürger, dass Rot-Grün der soziale Ausgleich nicht gelingt – vor zwei Jahren waren es erst 47 Prozent. Dennoch gibt es kaum Protest, im Gegenteil, gleichzeitig wollen die Wähler die sozialen Unterschiede. Oder wie es Allensbach in klassischer Meinungsforschungsprosa festhält: „Trotz ihrer grundsätzlichen Zuneigung zu egalitären Visionen plädiert die überwältigende Mehrheit für eine ausgeprägt leistungsorientierte Differenzierung bei Löhnen und Gehältern.“ Auch die großen Vermögen wollen die meisten Bürger schonen: Nur 35 Prozent finden es unfair, dass es keine Vermögensteuer gibt. Und obwohl inzwischen 59 Prozent der Wähler glauben, dass vor allem die Wohlhabenden von den rot-grünen Reformen profitieren, ist dennoch eine Mehrheit dafür, den Spitzensteuersatz weiter zu senken, statt ihn zu erhöhen.

Was macht man mit solchen Ergebnissen? Meinungsforscher Güllner kennt Kanzler Schröder seit Anfang der 70er-Jahre und rät ihm, „bis 2006 durchzuhalten“. Denn die Reformen seien gar nicht das Hauptproblem, sondern die Vermittlung: „Nur 8 Prozent der Wähler haben bisher verstanden, dass die Agenda 2010 bereits umgesetzt ist. Die meisten meinen, die Gesetze kommen erst noch.“ Außerdem, auch schwierig, glauben viele, dass die SPD die eigenen Reformen ablehnt. Dieser Eindruck täuscht nicht. Eine Forsa-Umfrage ergab, dass „zwei Drittel der SPD-Mitglieder gar nicht regieren wollen, sondern ihre Grundsätze bewahren möchten“.

Entsprechend desaströs sind die aktuellen Umfragewerte für die SPD. Momentan kommt sie bei der Sonntagsfrage auf 24 Prozent, während die Union 45 Prozent der Stimmen erhalten würde. Für Allensbach, traditionell CDU-nah, ist der Trend schon länger deutlich: „Die Bevölkerung straft die SPD und ihren Kanzler zur Zeit in einem Ausmaß ab, die in der Geschichte der Bundesrepublik seinesgleichen sucht.“

Güllner hält von solchen Analysen nichts: „Die SPD verliert zwar, aber die Union hat keinen Zulauf.“ Bei der Europawahl zum Beispiel, da hätte die Union 7 Millionen Stimmen verloren im Vergleich zur Bundestagswahl 2002. Gleichzeitig würde Merkel die Wähler nicht besonders überzeugen: „Bei der Frage nach ihrer Kompetenz liegt sie Kopf an Kopf mit Schröder.“

Dazu passt, dass manche Umfragen der Bundesregierung auch Mut machen. „Die Praxisgebühren finden jetzt Zustimmung“, zitiert Regierungssprecher Thomas Steg aus einer internen Studie. Das Umweltministerium wiederum wollte wissen, wie die Bürger das Dosenpfand finden. Und siehe da: Die Unionspolemik hat nichts genützt, drei Viertel der Wähler sind für das Mehrwegsystem. Aber auch die Opposition liest Umfragen. Inzwischen hat sie ihren Widerstand gegen das Dosenpfand weitgehend eingestellt, das CSU-Land Bayern setzt sich neuerdings sogar dafür ein.