100.000 Kollegen der Nacht

Heute um 18 Uhr beginnt die vierte Nacht der Industriekultur im Ruhrgebiet. Für nicht ganz billige 17 Euro gibt‘s einen Fahrdienst, freien Eintritt auf 35 Industriedenkmälern und einen nassen Hintern

RUHR taz ■ Verkehrte Welt im Ruhrgebiet: Wer auf der Kokerei Zollverein in Essen, der Hattinger Henrichshütte oder der Zeche Ewald in Herten die Nacht verbrachte, bekam Lohnzulagen. Heute zahlen Leute 17 Euro, um dort zu sein, wo einst Eisen kochte, Kohle staubte und Hämmer schlugen. An der dritten Nacht der Industriekultur im Sommer 2003 nahmen 100.000 Besucher teil – Tickets lösten 50.000. Im winterlichen Sommer 2004 werden sich wahrscheinlich etwas weniger auf die Ruhrtour machen. Damit die vier Veranstalter Ruhr Tourismus GmbH, Projekt Ruhr, Kommunalverband Ruhrgebiet und Verkehrsverbund Rhein Ruhr dennoch auf ihre Kosten kommen, werden Kontrolleure eingesetzt. Wer mitmacht, sollte 17 Euro zur Hand haben – und an einer von fünf „Drehscheiben“ starten:

■ Duisburg

Duisburgs Wassermeile am Innenhafen ist ein Ausgangspunkt der wohl weltweit größten Industriekultur-Schau mit Licht- und Wasserspielen sowie Straßentheater – ab 19 Uhr drehen die Ausflugsdampfer MS Stadt Duisburg und die MS Rheinfels vom Innenhafen aus eine Runde durch den Binnenhafen. Ein Shuttlebus fährt von Duisburg aus nach Mülheim und Oberhausen. Dort wird Eisenheim zum Lebendmuseum: Vor den Häusern stehen Tische mit Privatfotos, Postkarten und Besitztümern der Bewohner dieser wohl stolzesten Arbeitersiedlung im Revier. Am Haus Ripshorst führt eine Radtour auf Leih-Bikes zu Fledermäusen und Pioniervegetation: Das nennt sich dann Industrie-Natur, auch das gibt es.

■ Essen

Nicht das Weltkulturerbe Zollverein, sondern die citynahe Weststadt rund um die Musicalhalle Colosseum stellt diesmal den Essener Startpunkt der Extraschicht – Musical-Sängerinnen treffen auf Klangkünste der Folkwangschüler. Eine Busfahrt weiter, auf der Zeche Zollverein, geht es abstrakter zu. Das künftige Ruhrmuseum zeigt, was es ab 2005 zeigen will. Die Entwicklungsgesellschaft Zollverein stellt den Zollverein-Masterplan vor, nebenan geht es um die Perspektiven der Business-School. Etwas handfester ist die Kokerei mit Mars-Aufnahmen.

■ Herten

Auf der Zeche Ewald am Fuße der Halde Hoheward tut sich um Mitternacht der Dritte Horizont auf, ein multimediales Kunstwerk von Rochus Aust. Von Herten aus geht es auch zur Künstlerzeche Unser Fritz, die den Boxverein „Schwarz-Weiß Unser Fritz“ eingeladen hat; vor Urzeiten hat der hier trainiert. In der Weißkaue lauern reichlich Boxereien: Boxring, Boxfilme, Musikbox, Boxbeutel. Wer aktive Schwerarbeit besuchen will, sollte sich zum Trainingsbergwerk der DSK nach Recklinghausen kutschieren lassen oder über den Chemiepark Marl.

■ Hattingen

Die Henrichshütte war einst der erste Hochofen in der Region, 1987 wurde hier endgültig ausgeblasen. Am Abend wird in der Gebläsehalle musiziert, junge Virtuosen begeben sich dort auf den Klaviermarathon. Und Reiner Padliger leitet eine ‚Geomant‘-Exkursion – soll so etwas sein wie Open-Air Feng-Shui, die Heilung von Landschaften(?). Ein Museumsbahn verkehrt zwischen Hattingen und dem Eisenbahnmuseum in Bochum-Dahlhausen. In der Bochumer Jahrhunderthalle wird der Ruhrtriennale-Liederabend mit Bill Frisell und Ron Sexsmith immerhin auf Großbildleinwand nach draußen übertragen.

■ Dortmund

Die verklärt-verkitschte Jugendstil Zeche Zollern II/IV in Dortmund-Bövinghausen ist die Drehscheibe des Ostens. In der Maschinenhalle wird heute Tango gehört und getanzt. Wer will, kann von hier aus aber auch Südamerika fliehen – die Organisatoren der Kokerei Hansa in Huckarde haben viel Fußballverstand und Geschichtsbewusstsein bewiesen: Auf der Großkokerei geht es griechisch zu. Aber nicht wegen Rehakles, sondern weil hier viele Griechen Dienst taten. Wetterfühlig waren auch die Macher der Extraschicht 2004: Im Parkbad Süd in Castrop-Rauxel wird viel geboten (Boule, Kabarett, Planschhistorie) – nur Schwimmen geht nicht mehr. Aber wer will das schon, bei dieser Wettervorhersage: Regnerische 20 Grad. CSC