Bildung nach Zahlen

Das Recht auf Bildungsurlaub in der Kritik. Über eine Streichung denken der Rechnungshof und Unternehmerverbände nach. Die Träger wehren sich

Bremen taz ■ „Jeder Arbeitnehmer hat innerhalb eines Zeitraums von zwei aufeinanderfolgenden Kalenderjahren Anspruch auf Gewährung eines bezahlten Bildungsurlaubs von zehn Arbeitstagen.“

So steht‘s seit 1974 in den Bremischen Gesetzesblättern. Wer anno 2004 dieses Recht in Anspruch nehmen und etwa vom 11. bis 15. Oktober „Geschichten-Gewusel – Gestalten und Erzählen mit Schafwolle“ in Zeven erleben möchte, der könnte bei seinem Chef auf Unverständis stoßen. Muss er dafür wirklich Urlaub gewähren, fragte jüngst polemisch die Bremer Unternehmerverbände und die FDP, die das Bildungsurlaubsgesetz nach 30 Jahren einfach abschaffen wollen.

Er muss, sagt das Gesetz. Die Abschaffung des Gesetzes wurde in der Bürgerschaft verhindert. Das Bildungsressort hat sich für den Bildungsurlaub (BU) stark gemacht. Aber das Thema gärt weiter: Ist er noch zeitgemäß?

In seinem Jahresbericht 2004 hat der Rechnungshof Bremen gefordert, BU-Maßnahmen nicht mehr mit öffentlich Mitteln zu fördern, die mit 15 Cent pro Teilnehmer und Unterrichtsstunde beziffert werden. Erwachsenenbildung könne, so der Vorschlag, ganz in die Eigenverantwortung und -initiative jedes Bürgers zurückgeführt werden. Nach Feierabend ist noch ausreichend Zeit für „Gestalten und Erzählen mit Schafwolle“?

BU-Befürworter und -Gegner werfen sich derzeit erst einmal Zahlen um die Ohren. So behauptet der Rechnungshof-Bericht, „nicht einmal 1 %“ der Arbeitnehmer würden das staatlich garantierte Recht in Anspruch nehmen. Tendenz: fallend. Zudem würden nicht – wie gefordert – die in Sachen Bildung benachteiligten Bevölkerungsgruppen erreicht. „40 % der Teilnehmer“ kämen aus dem öffentlichen Dienst. Deshalb schlägt der Rechnungshof vor, diese priveligierte Gruppe vom Recht auf BU auszuschließen.

Ganz andere Zahlen präsentierte gestern auf einer Pressekonferenz Theo Jahns von der der Arbeitnehmerkammer. Nach seinen Untersuchungen haben „über 50 Prozent der Teilnehmer kein Abitur“ – und der öffentliche Dienst besetze nur 20 bis 30 Prozent der Plätze.

Da in den BU-Teilnehmerlisten bisher soziodemografische Daten wie etwa der Schulabschluss nicht abgefragt werden, ist das Zahlenmaterial eher ein Schätzwert denn Statistik erhoben. Der Rechnungshof etwa bezieht sich auf eine Studie des hesssichen Sozialministeriums aus den 90er Jahren, während Jahns aus einem Essayband des Jahres 2002 zitiert und auf eigene Zählungen der Bremer Bildungsträger verweist. Daraus lasse sich auch ablesen, dass jährlich mehr als 15.000 Bremer (also über 5 Prozent) einen BU beantragen würden.

Volkshochschul-Chefin Barbara Loer machte gestern deutlich, dass die Betonung beim Bildungsurlaub auf den ersten beiden Silben liege. „Es geht um die bezahlte Freistellung zur Arbeit an eigener Bildung, dem lebensbegleitenden Lernen“. fis