das sommerwunder (7)
: SUSANNE LANG erklärt, warum der Sommer in Berlin so schön ist

Die Stadt taut auf

Vielleicht hätte ich nicht in einem Herbstmonat Berlinerin werden sollen. Ein gewöhnlicher Tag in einem gewöhnlichen Oktober: Der Regen nieselt, der Himmel graut, der Wind pfeift sich seinen Weg aus Ostsibirien direkt ins Berliner Herz. Ankunft in Berlin. Mitleidende Blicke, von Berlinern für Neuberliner wie mich, denen nur ein Gedanke durch den Kopf schießt: „Wie soll man bloß den Winter überleben in dieser Stadt.“

Hochgezogene Schultern und ein beiläufiger, fast überhörter Satz, von Berlinern für Neuberliner: „Warte erst mal, bis der Sommer kommt. Dann ist Berlin echt schön.“ Es dauerte einen ganzen schlimmen Herbst und einen noch ganz schlimmeren Winter und einen fast ganzen Sommer, bis mir die Bedeutung dieses Satzes klar wurde: Es handelt sich um nichts anderes als den Survivalplan für diese Stadt.

Als mein erster Winter langsam anfing wegzuschmelzen und die Sehnsucht nach klitzekleinen Sonnenküssen die Körper langsam auftaute, wurde ich also zum zweiten Mal Berlinerin. Ankunft im schönen Sommer-Berlin. Erwartungsvolle Blicke von Berlinern für Neuberliner wie mich, der die Antwort auf die fragenden Augen zugegeben nicht leicht fiel. „Haben wir’s nicht gesagt: Ist doch schön, oder?“

Schön. Ja, Berlin hatte sein Sommergesicht aufgesetzt. Auf dem Alex leuchtet ein Kreuz, wenn die Sonne in passendem Winkel vom blauen Himmel strahlt. An Spree- und Bundespressestränden spülen Kubikkübelhaufen von Sand Meeresgefühl in die Stadt. Unter den Linden haben Horden von sehenswürdigkeitswütigen Menschen aus fernen Ländern die Horden von protestsüchtigen Menschen aus benachteiligten Gruppen einfach weggeknipst. In den Kiezen unter den Sonnenschirmen auf den Bänken und Stühlen all der Cafés ertrinkt die Sparnot lächelnd im Alkohol. In den U-Bahn-Schächten saunt sich das mobile Fußvölkchen gratis und ungeniert. Ja, schön.

Genauso schön wie München im Sommer, wie Hamburg, wie Dresden, wie Tudorf, Erckenschwick, Helgoland und Zugspitze und Westfalen zusammen.

Plötzlich aber war es klar. Als das erste Sommergesicht Berlins Falten bekam, der Himmel wieder ergraute und der Wind aus Ostsibirien leise anklopfte, war klar, dass der Sommer in Berlin etwas ganz und gar Wunderbares ist. Noch einmal raus in die Stadt. Noch ein Blick auf das Lichtspiel am Alex, ein Sonnenbad am Sandstrand, noch ein Touristenfoto geknipst, einen Caipirinha geschlürft, einen U-Bahn-Saunagang durchlaufen. Noch einmal Sommer inhaliert und infusiert und konserviert für die kommenden schlimmen Herbst- und Wintermonate. Überleben mit Sommergefühl im Bauch.

Vielleicht wäre ich wirklich besser in einem Sommermonat nach Berlin gekommen. Dann hätte mich dieses Winter tauende Sommerlächeln, das über der ganzen Stadt liegt, sofort ins Herz getroffen.