Die Möglichkeit des Scheiterns

Das Glück des Augenblicks: Für Mark Waschke, Ensemblemitglied der Schaubühne, ist jede Rolle ein Balanceakt, Gefahr des Absturzes inbegriffen

Waschke schüttelt sich, wenn er von „Seelenbeschau“ und „Gefühlszeug“ redet

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Mit dem Textbuch in der Hand fiel er mir zuerst auf: Mark Waschke, Mitglied des Schauspielensembles der Schaubühne, warf sich in szenischen Lesungen auf dem Festival Internationaler Neuer Dramatik der Schaubühne und auf dem Stückemarkt des Theatertreffens mit solch einer Leidenschaft in die nur kurz geprobten Rollen, als könnte das Spielen später nie wieder so schön sein wie heute. Es schien, als koste er die Ungewissheit der szenischen Lesung aus wie ein einmaliges Glück – denn ob diese Rollen aus Sprache und Papier jemals wieder in Fleisch und Blut auf die Bühne gebracht werden, steht oft zum Zeitpunkt der Lesung noch nicht fest. So wird aus ihr mehr als ein Vorstellen des Textes – das Theaterspielen selbst stellt sich hier in einer Unfertigkeit aus, in der noch alles möglich ist und die Ideen zur Veränderung dicht unter der Oberfläche brodeln.

Mark Waschke (Jahrgang 1972) gehört zu einer Gruppe um den Regisseur und Theaterleiter Thomas Ostermeier, die vor vier, fünf Jahren an der Baracke des Deutschen Theaters begann, die Form der Stücklesung aufzubrechen. An einem Holztisch mit einem Glas Wasser zu sitzen war ihnen zu langweilig. „Bei einer Lesung bekommt man einen guten Kredit, Vertrauensvorschuss vom Publikum, es kann auch alles schief gehen“, sagt Waschke, und gerade das, die Möglichkeit des Scheiterns, schärft seine Fähigkeiten. „Ich finde es immer spannender, zu beobachten, wie ein Schauspieler kurz davor ist, zu scheitern, als zu sehen, wie er etwas perfekt und ohne Makel ausführt. Weil mich diese ständig anwesende menschliche Möglichkeit des absoluten Scheiterns viel mehr interessiert als das artistisch Perfekte.“

Mark Waschke kommt von der Ernst-Busch-Schule, wie einige der jungen Regisseure und Schauspieler aus dem Schaubühnen-Team. Die gemeinsame Herkunft wirkt sich noch immer in einem Vorrat von Stichworten und Haltungen aus. Ein Spiel aus den Situationen zu entwickeln, aus der Reaktion auf das Gegenüber, das ist ihr Weg – viel eher als ein psychologisierendes Method-Acting. Mark Waschke schüttelt sich, wenn er von „Seelenbeschau“ und „Gefühlszeug“ redet, vom Rumgraben im eigenen Erleben. „Persönlich Abgründe“ liegen für ihn nicht weit entfernt von „persönlichem Müll“ und gruseln ihn eher auf der Bühne. „Mich interessieren handelnde Personen, die sich unter Umständen auch ganz anders entscheiden könnten“, sagt er. Das ist knackig, aber oberflächlich ist es nicht. In dieser Wachheit für den Augenblick liegt sicher auch die Fähigkeit begründet, Texten so schnell ein Eigenleben zu verleihen.

Auf dem Stückemarkt stellte er gemeinsam mit Jule Böwe „Zappen“ der Autorin Maya Das Gupta vor: „Sie“ erzählt von ihren drei Liebhabern und wie die Mängel des einen die Suche nach den weiteren bedingen. „Er“ verkörpert gleich alle drei dieser Rollen, die nur nach Nummern unterschieden werden, und muss, wie von einer Fernbedienung umgeschaltet, zwischen einem und dem nächsten Satz vom einen auf den nächsten Mann umschalten. Eine ähnliche Rolle, drei einander verwandte und doch in ihren Reaktionen unterschiedliche Charaktere, spielt er in dem Stück „Die Kopien“ von Caryl Churchill, das der aus England stammende Regisseur James McDonald an der Schaubühne inszeniert hat: drei Brüder, die aus einem Klonexperiment hervorgegangen und doch durch die unterschiedlichen Erfahrungen ihrer Kindheit zu ganz verschiedenen geworden sind. In beiden Stücken ist die Individualität ein prekärer Status, kaum gesichert, herzustellen immer erst im Augenblick.

Waschke beschreibt seinen Zugriff auf Rollen wie einen Balanceakt auf dem Seil, „eine Bewegung in dem Spannungsfeld zwischen einem unbestimmten „Ich“, von dem ich selber auch nicht genau weiß, was das ist, und einer unbestimmten Figur. Ich versuche sie zu umkreisen, aber ich will sie auch nicht zu eindeutig machen.“ Dennoch erhalten diese Figuren gerade in ihrer Unsicherheit ein starke physische Präsenz.

Musik? Politik? Oder doch lieber Theater? Es gab eine Zeit, so um die 18 herum, da war Mark Waschke in allen drei Bereichen gleichermaßen engagiert und wußte nicht, was ihm am wichtigsten ist. Schließlich ist er Schauspieler geworden und sieht heute seine Interessen dort zusammenkommen. „Wenn es gut läuft beim Theater, dann ist das auch eine sehr musikalische Arbeit und hochpolitisch. Gerade dann, wenn sie nicht politisch sein will.“ Auf der Bühne hat er den Ort gefunden, wo Wut und Verzweiflung, privat und politisch, ihren Ausdruck finden können. So bedeutet Theaterspielen für ihn nicht zuletzt, an einer Selbstverständigung der Gesellschaft teilzunehmen.

In den „Kopien“ zum Beispiel macht für ihn nicht die aktuelle Debatte um das Klonen die politische Relevanz aus, sondern der Umgang mit dem Kult der Individualität: „Was ist das Besondere an mir, wenn alles nach Jugend schreit, nach immer hipper, schneller, lauter, härter, wie kann ich mich da behaupten?“ Darüber wollen die Leute auch im Publikumsgespräch reden, und das scheint ihm wichtiger als Bekenntnisse „gegen den Krieg“, irgendwann in der Vorstellung.

Waschke sagt oft „wir“, wenn er von seiner Arbeit an der Schaubühne redet. Er steht zu dem Spielplan, dem Einsatz für Gegenwartsdramatik, für Stoffe wie Fausto Paravidinos dokumentarisches „Genua 01“ über die Niederlage der Globalisierungsgegner und das Zerbrechen des Widerstands, und er liebt die Stücke von Marius von Mayenburg. Waschke spielt in dessen „Feuergesicht“ und „Parasiten“ mit. Von den sozialkritischen Dramen voriger Generationen unterscheidet sich Mayenburg durch die Kunstsprache, weit weg vom filmischen Realismus, und durch die Gemeinheit der Figuren. Sie sind Opfer, aber gut sind sie nicht. Je mehr er von den Autoren des Theaters und seinen Rollen erzählt, desto deutlicher gewinnt das Projekt „Schaubühne“ als Gesamtheit Konturen. Im Gegensätzlichen, findet Mark Waschke, schärfen sich die gedanklichen Formen der Stücke. So erhält der Repertoirebetrieb selbst die Lebendigkeit einer Auseinandersetzung, in der sich die unterschiedlichen Perspektiven berühren und nichts, was in einem Stück geschieht, ohne Einfluss auf das nächste bleibt.