Pfiffe für bloßes Rumgeschrammel

Luftgitarristen brauchen sportiven Ehrgeiz, Kondition und viel Mut. Die besten ihres Faches spielten am Wochenende in Friedrichshain um den Deutschen Meistertitel. Guter alter Rock ’n’ Roll und der Weltfrieden kamen dabei nicht zu kurz

VON GESA EVERS

Schnell stellte sich heraus, dass der Rahmen für die erste offizielle deutsche Luftgitarrenmeisterschaft zu bescheiden gewählt war. Das „Knorre“ in Friedrichshain war zum Bersten gefüllt und draußen vor dem Fenster klebten die Menschen ihre Nasen an die Scheibe. Kein Wunder, laute Rockmusik und wild dazu fuchtelnde Menschen versprachen einen so unterhaltsamen wie sportiven Samstagabend.

Die in einer Art ironischem Ernst geschriebenen Teilnahmebedingungen taten ein Übriges. „Charisma, Luftigkeitstauglichkeit und künstlerischer Gesamteindruck“ stand da unter „Kriterien“. Die eigentliche Botschaft aber war eine andere und ganz oben zu lesen: „Das erklärte Ziel der Air Guitar World Championships (AGWC) ist der Weltfriede, der erreicht wird, wenn alle Menschen auf der ganzen Welt Luftgitarre spielen.“

Diesen nachgerade olympischen Gedanken hob auch „Space M. Pfeffer“, Moderator des Abends, hervor. Er redete sehr viel und fühlte sich so wohl auf der Bühne, dass man Angst bekam, er würde gar nicht mehr runtergehen. Dann endlich betrat „Helsinki“, der erste Teilnehmer, die Bühne. Dass auch bei dieser unpräzisen Sportart zu viel Alkohol schädlich ist, stellte er eindruckvoll unter Beweis.

Seine Nachfolger nutzten ihre Minute des Ruhms da schon besser. Manche waren dabei so begeistert von der Musik, dem Publikum oder sich selbst, dass sie die Luftgitarre in ihren Händen glatt vergaßen. Oder sie verkrümmten sich in einer Weise, dass man eher an eine Ukulele dachte. Dennoch rann der Schweiß in Strömen, ein deftiger Muskelkater schien allen Kontrahenten sicher. Nachdem die 14 Teilnehmer den Auftritt zu selbst ausgesuchter Musik von AC/DC bis Rage against the Machine beendet hatten, war noch kein rechter Favorit auszumachen. Zumindest die Jury (Michael Kemner, „Fehlfarben“-Bassist, Franziska Schwarz, Ex-„Pop Tarts“-Gitarristin und Norbert Hähne, der sich „wahrer Heino“ nennt), schien unsicher. Die Noten, auf einer Skala von 4.0 bis 6.0 vergeben, wirkten teils willkürlich, weshalb sie sich in Sachen Unbeliebtheit mit dem Moderator messen konnte. „Schmeiß die Jury raus!“ war noch der freundlichste Einwurf.

Das Publikum war sich nach jedem Auftritt schnell einig. Wer das Zusammenspiel von Musik, Show und Körpereinsatz am besten hinbekam, wurde bejubelt. Bloßes Rumgeschrammel wurde dagegen als unsportlich empfunden und mit Pfiffen bedacht.

Im Finale mussten alle zu dem gleichen Lied, „Black Math“ von den White Stripes, noch mal ran. Hier waren schon bei einigen Ermüdungserscheinungen erkennbar und auch die Jury strafte die allzu Einfallslosen mit schlechteren Noten ab. Dann stand er schließlich fest. Der deutsche Luftgitarrenmeister, der das Land bei der Weltmeisterschaft am 27. August in Finnland vertreten wird: Ingo „In Groove“ Schulz, 33, aus Berlin, überzeugte mit AC/DC-Gedächtniszunge und einem gekonnten Auftritt. Besonderer Pluspunkt: Er hatte sich erst kurz vorher zur Teilnahme entschieden und keine eigene CD dabei. Zu seinem Glück war „Highway to Hell“ vorrätig.

Der Sieger war bei dieser überaus spaßigen Veranstaltung irgendwo zwischen sportlichem Wettbewerb und Comedy-Show fast zweitrangig. Friedericke van Meer von der German Air Guitar Federation war begeistert: „Das war sensationell. Normalerweise sind 150 Leute in der Knorre. Diesmal waren es 220.“ So oder so ähnlich muss sich der Weltfrieden anfühlen.