Es kann kein Mann vor Damenwäsche gähnen

Ein Tusch zum 120. Geburtstag des Dichters, Malers, Auftrittskünstlers und Seepferdchenliebhabers Joachim Ringelnatz

Ringelnatz? Hat der nicht die Schnupftabakdose Friedrichs des Großen bedichtet? Die zwei Ameisen, die von Hamburg nach Australien reisen wollten? Den Matrosen Kuttel Daddeldu? War das nicht dieser mal niedlich, mal herzbetrunken-raubeinig dichtende Mann, der sich „reisender Artist“ nannte und in Varietees auftrat und den man sich als Dichter schenken kann?

Dabei kann man leicht mehr erfahren von und über Joachim Ringelnatz, der am 7. August 1883 im sächsischen Wurzen als Hans Bötticher geboren wurde und sich nach seinem Lieblingstier nannte, dem Ringelnass, dem Seepferdchen. Es gibt bei Diogenes eine von Walter Pape edierte siebenbändige Gesamtausgabe, Harry Rowohlt hat für seine Ringelnatz-CD „Ich hatte leider Zeit“ erfreulicherweise eher unbekannte Gedichte ausgewählt, und der Katalog „Ringelnatz! Ein Dichter malt seine Welt“ (Wallstein 2000) würdigt Ringelnatz als Maler, dessen Bilder gemeinsam mit Werken von Ernst Barlach, Otto Dix, George Grosz, Ernst Ludwig Kirchner, Paul Klee, Emil Nolde und Max Pechstein ausgestellt wurden. Auch der Dichter Ringelnatz wird hier endlich einmal nicht auf der Ebene der Verse „Publikum – noch stundenlang – / Wartete auf Bumerang“ verhandelt, die übliche Verharmlosung zum Kleinkünstler unterbleibt. Ringelnatz war ein Dichter, ein tief fühlender freier Geist, und sein freimütiger Ton rief auf den Plan, was er „die zwei Polis“ nannte: Politik und Polizei.

Im Jahr 1922 druckt die Weltbühne Ringelnatzens Gedicht „Die Riesendame der Oktoberwiese“ und wird auf Antrag der „Zentralpolizeistelle zur Bekämpfung unzüchtiger Bilder und Schriften“ beschlagnahmt; im September 1923 werden Ringelnatz und der Weltbühne-Herausgeber Siegfried Jacobsohn zu je 300 Millionen Mark Geldstrafe verurteilt – da es sich um Inflationsgeld handelt, wiegt die Millionenstrafe aber weit weniger schwer als die bedichtete Dame: „Es nahte sich mit wohlgebornen Schritten / Der Elefant vom Nachbarzelt / Und sagte: ‚Emmy, schwerste Frau der Welt, / Darf ich um einen kleinen Beischlaf bitten?‘ // Diskret entweichend konnte ich noch hören: / ‚Nur zu! Beim Essen kann mich gar nichts stören.‘ “

Das „Geheime Kinder-Spiel-Buch“ von 1924 handelt Ringelnatz und dem Verleger Gustav Kiepenheuer eine polizeiliche Verfügung wegen „verderblicher Beeinflussung der sittlichen Auffassungen von Kindern“ ein, die „polizeilicherseits nicht geduldet werden kann“. Die Nationalsozialisten hassten Ringelnatz sowieso – für seinen Ton, den sie „frivol“ und „entartet“ nannten. Sie erteilten Ringelnatz Auftrittsverbot und verbrannten seine Bücher. Sein emigrierter Freund Hans Siemsen schrieb zu Recht, Ringelnatz sei „auf kaltem Wege von den Nazis umgebracht“ worden. Ringelnatz, sämtlicher Verdienstmöglichkeiten beraubt, konnte sich keine angemessene ärztliche Behandlung seiner Tuberkulose mehr leisten und starb, völlig mittellos geworden, am 17. November 1934.

Eins seiner letzten Gedichte, im Nachlass gefunden, beschäftigte sich mit den „Lauen“, die empfahlen, zu „schauen, ob nicht tief / Am Nazitum was dran sei / Ob Hitler nicht doch ein Mann sei.“ Ringelnatzens Antwort lautete: „Wir kennen die einfache Wahrheit, / Wir sehn durch ein scharfes Glas. / Und unsere Lehre ist Klarheit, / Und unsere Klarheit ist Haß. / Der Haß, der groß und weitsichtig ist, / Der schaffende Haß, der richtig ist.“ Klingt gar nicht nett und niedlich – und ist genauso Ringelnatz wie die Schlusszeile aus dem Gedicht „Marter in Bielefeld“: „Es kann kein Mann vor Damenwäsche gähnen.“ WIGLAF DROSTE