Die Hauptstadt der Witze

Manchmal ist es gut zu wissen, dass der Boden aus Beton ist. Zum Beispiel, wenn German Popov kommt, „Our Man From Odessa“. Mit dem „Trans Balkan Express“ lädt er die elektronische Musik zur Fahrt an das Schwarze Meer

Schon seit langem dürfte das Foyer des Schauspiels Frankfurt nicht mehr einen solchen Gästeansturm erlebt haben wie an diesem Tag. Zum zweijährigen Jubiläum des Bucovina-Clubs, einer Partyreihe des Frankfurter DJs Stefan Hantel, waren mal wieder alle gekommen. Kurz vor Mitternacht, der Glaspalast des Theaters bog sich im Takt osteuropäischer Polkamusik, betrat auch noch das Boban Marković Orkestar aus Serbien die Bühne, ein 13-köpfiges Blasorchester mit angedockter Percussioneinheit. Manchmal ist es gut zu wissen, dass der Boden aus Beton ist.

Hier, mitten im Getümmel, sitzt German Popov auf einem Sofa und trinkt ein deutsches Bier. Popov ist ein hoch gewachsener, schlanker Mann, der einen handgeschneiderten, bordeaux-farbenen Anzug und ein farblich dazu passendes Hemd trägt. Popov ist unser Mann aus Odessa, und er nennt sich auch so: Our Man From Odessa, kurz O.M.F.O. – auch wenn er seit Jahren schon mit seiner deutschen Frau in Amsterdam lebt. Eben erst hat er sein Album „Trans Balkan Express“ veröffentlicht, auf dem Label von Stefan Hantel, den er vor zwei Jahren in Tel Aviv kennen lernte.

Schon der Titel enthält natürlich eine Verbeugung vor Kraftwerks „Trans Europa Express“. Das Album selbst besteht zum größten Teil aus elektronischen Instrumentalstücken in manchmal orientalisch-komplexen Rhythmen, doch überrascht vor allem ihre Instrumentierung: Wir hören Blasinstrumente, darunter Tröten und vibraphonänliche Klänge, sowie jede Menge durch den Computer verfremdete Percussion. „Der virtuelle Trans-Balkan-Express verbindet den Osten mit dem Westen. So wie Odessa schon immer ein Bindeglied zwischen dem Orient und dem Okzident, zwischen Europa und Asien gewesen ist“, erklärt German Popov. „Mir gefällt die Idee, die Menschen in Westeuropa mit etwas zu konfrontieren, was für sie einer Neuorientierung gleichkommt: Anstelle der üblichen westlichen Latin- und Afro-Beats, drehen wir uns um 180 Grad nach Osten und entdecken eine Musik, die vielen Europäern geografisch eigentlich viel näher ist als die Musik, die sie aus MTV kennen.“

Dazu passt noch ein Aspekt: Im Bucovina-Club wird gesoffen, was das Zeug hält, vorzugsweise russischer Wodka auf Eis. Auch das ist wohl so eine Rückkehr zu bewährten Traditionen, und wie das Wiederentdecken alter Musik sicherlich keine ganz verkehrte. German Popov sieht darin eine russische Eigenart: „Wenn man sich in Russland zur Musik trifft, dann geht es immer um Exzess. Leute wie wir treffen sich nicht zum Trinken in Bars. Man trifft sich zu Hause und hört dort Musik. Eine Subkultur im westlichen Sinne hat es in der Sowjetunion nicht gegeben. Subkultur – das Aufbäumen gegen die Gesellschaft und den Mainstream – bedeutete damals schlicht, kriminell zu werden.“ Nicht von ungefähr stand Odessa in der ehemaligen Sowjetunion im Ruf, die Hauptstadt des Verbrechens zu sein – „ganz einfach, weil sie als die größte Hafenstadt am Schwarzen Meer alle Bedingungen für erfolgreiches Verbrechen lieferte“.

Aber Odessa gilt auch als „Hauptstadt der Witze“, wie Popov immer wieder gern betont. Ob ihm denn spontan einer einfällt? „Ich kenne so viele Witze, da fällt mir jetzt keiner ein“, weicht Popov aus, und erklärt stattdessen: „Aber wenn sich zwei Russen treffen, dann erzählen sie sich gegenseitig gern ganze Filme, die sie gesehen haben. Auf diese Weise kann man stundenlang Wodka trinken.“

Das war noch kein Witz. „Wenn du mein Gast wärest, dann würde dein Glas nie leer werden. Ich würde es immer mit Wodka füllen: Weil du mein Gast bist. So sind wir Russen“, sagt Popov, als wolle er partout vermeiden, einen Witz zu erzählen. „Und wenn du nicht mehr stehen kannst, dann würde ich dich auf meine Couch legen, dir eine Bettdecke geben – und meine Frau würde ich zu dir auf die Couch legen.“

„Das würdest du tun?“, frage ich etwas verunsichert unseren Mann aus Odessa. Popov todernst: „Nein, ich würde dich auf der Stelle umbringen.“ Ah, das war also der versprochene Witz.

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