: Freie Fahrt für die Bahn
Die Grünen sollten sich in der Verkehrspolitik mit Ländern und Kommunen verbünden. Anders als der Kanzler wollen auch sie einen gut ausgebauten Schienenverkehr
Der neue Bundesverkehrswegeplan stellt die Weichen bis mindestens 2015. Ali Schmidt, der verkehrspolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, hat vergeblich gegen die drohenden Autokarawanen gekämpft. Zwar hat er erreicht, dass alle Maßnahmen auch nach neuen ökologischen Kriterien bewertet wurden und die Hälfte des Geldes in die Schiene fließt – trotzdem geht alles weiter wie gehabt. Fast 4.000 Kilometer neue Autobahnen und 740 Ortsumgehungen sollen gebaut werden. Die Karawane fährt weiter, und die Bahn steht auf dem Abstellgleis.
Die Menschen entscheiden eben nicht nach grüner Programmatik. Sie fahren lieber Pkw, weil es bequemer und schneller ist, sie fliegen lieber mit dem Flugzeug in den Urlaub, da es schneller und billiger ist. Und der Güterverkehr rollt in Europa auf der Straße, da das billiger, schneller und pünktlicher geht. Dabei gibt es gute Ansätze: Die Einführung der Maut für Lkws und die Erhöhung der Investitionen für die Bahn sind wichtige Schritte. Ansonsten jedoch kämpfen die Grünen immer noch vor allem gegen Straßenbau und Flughafenausbau und verärgern Menschen, die die Nase voll davon haben, im Stau zu stehen.
Das Problem ist: Die Rahmenbedingungen stimmen nicht. Auch zehn Jahre nach der Privatisierung der Bahn hat das Unternehmen immer noch ein Monopol. Es schrumpft sich lieber gesund, um die Gewinne zu steigern, als Konkurrenz zuzulassen – so wie sich ein Monopol nach wirtschaftswissenschaftlicher Lehre logischerweise verhält.
Folge 1: Der Personenfernverkehr wird auf die lukrativen Fernstrecken konzentriert, die eigenwirtschaftlich zu betreiben sind. Darauf und auf die großen Bahnhöfe, die zugleich als Einkaufszentren Geld bringen können, werden die Investitionen konzentriert. Alles andere wird möglichst eingestellt.
Folge 2: Im Güterverkehr ist nur mit Ganzzügen auf langen Strecken kurzfristig Geld zu verdienen. Also werden tausende von Verladestellen dichtgemacht, die Konkurrenz der kleinen regionalen, nicht bundeseigenen Bahnen ihrer Aufträge beraubt; der Güterverkehr wird auf das Kerngeschäft reduziert. Dabei gibt es genügend Spediteure, die ihre Transporte auf die Bahn bringen würden, aber sie werden durch schlechten Service und unflexible Bedingungen bewusst abgeschreckt.
Folge 3: Der regionale Personenverkehr lebt von den Aufträgen der Länder, die die Aufträge vergeben und dafür zuzahlen. Die DB AG versucht maximal abzuzocken und minimal zu investieren. Darum versucht sie, den Wettbewerb zu verhindern und erpresst lieber Exklusivverträge mit der Drohung, sonst nicht mehr zu investieren und den Fernverkehr abzuziehen.
So geschieht es etwa im rot-grünen Schleswig-Holstein seit Jahren. Anders als in anderen Ländern wird hier trotzdem mittlerweile fast die Hälfte der Verkehre ausgeschrieben und dabei eine Kostensenkung von bis zu 43 Prozent erreicht – auf die lebenswichtigen Investitionen jedoch hat die Landesregierung letztlich keinen Einfluss.
Absurd ist dabei, dass die Investitionen, mit deren Entzug die DB AG droht, Zuschüsse des Bundes aus Steuermitteln sind.
Die Alternative kann nur sein: Der Staat ist zuständig für den Ausbau der Infrastruktur. Dies kann nach dem bewährten Muster wie beim Straßenbau gehen – unter Planungshoheit der Länder. Auf den Schienen kann dann aber jeder fahren, wenn es sich lohnt, und die Länder können Aufträge vergeben, ohne Repressionen durch die DB AG fürchten zu müssen.
Wenn die DB AG eine Strecke einstellt, kann dann problemlos ein Konkurrent fahren, ohne die heute nicht beherrschbare Diskriminierung. Es muss eine unabhängige Serviceorganisation geben, die wie beim Flugverkehr das Buchungssystem betreibt und Fahrpläne für alle Verkehrsmittel gegen Gebühr erstellt. Der Betrieb der Gleise, Oberleitung und Bahnhöfe erfolgt unabhängig von der DB AG entweder durch die unabhängige Serviceorganisation oder auch durch Betriebsgesellschaften der Länder oder Bahnhofsgesellschaften der Kommunen. Denn die Länder und Kommunen haben ein hohes Interesse an einem guten Schienenregionalverkehr, guten Fernverkehrsanbindungen, attraktiven Bahnhöfen sowie einer guten Anbindung der regionalen Wirtschaft an die Schiene.
Auf diese Weise käme es zu einem effizienten Einsatz der Investitionen. Häufig sind es nämlich relativ kleine Beträge, die erforderlich sind, um viel zu erreichen. Fünf Beispiele belegen das:
1. Um etwa auf einer Strecke den Halbstundentakt einzuführen, muss oft nur ein kurzes Stück als Begegnungsstrecke ausgebaut werden.
2. Um den integrierten Taktfahrplan einhalten zu können, reicht es, eine Teilstrecke für die Höchstgeschwindigkeit von 120 statt 100 km/h auszulegen.
3. Um eine größere Firma an die Bahn zu bringen, baut man einen Extraanschluss.
4. Damit Ganzzüge in einem Hafen zusammengestellt werden können, errichtet man ein elektrifiziertes Nebengleis. Die Züge können dann ohne Lokwechsel quer durch Europa fahren.
5. Damit Güterzüge auch tagsüber durchkommen und nicht wegen der schneller fahrenden ICEs nur nachts fahren können, baut man für ein Stück Hauptstrecke ein Ausweichgleis.
Solche Projekte kosten häufig vergleichsweise wenig, die Umsetzung dauert aber Jahre, denn die Bahn hat weder Interesse an Nebenstrecken noch an Maßnahmen, die konkurrenzfördernd sein könnten.
Es geht aber auch anders: Ausgerechnet die Schweiz macht uns vor, wie selbst bei hohen Kosten in einem teilweise unwegsamen Bergland der Anteil des ÖPNV/SPNV am gesamten Personenverkehr über 40 Prozent erreichen kann.
Und ausgerechnet die USA zeigen, wie erfolgreich im Güterverkehr private Bahnen auf exklusiven Gütergleisen sein können: Dort finden 40 Prozent aller transportierten Tonnenkilometer im Binnengüterverkehr auf der Schiene statt – übrigens im Zuckeltempo mit 50 km/h – Tag und Nacht, billig und pünktlich. Nur 25 Prozent entfallen auf Lkws; in der Bundesrepublik ist das Verhältnis 60 zu 20 für Lkws.
Es gibt Chancen für einen Wechsel. Allerdings sind an dem Versuch, diesen Wechsel zu vollziehen, schon einige gescheitert – vor allem an der Kumpanei Schröder-Mehdorn. Dennoch gibt es die Hoffnung auf Veränderung, denn die Länder wären als Bündnispartner sofort zu gewinnen, da sie neben den Fahrgästen die Hauptkunden der Bahn als Besteller des Regionalverkehrs sind. Schließlich ist es in ihrem Interesse, endlich selbst die Investitionen zu planen und Verkehrsprojekte ohne Furcht vor Repressionen auszuschreiben.
Deswegen sollten die Grünen ihre Bahnpolitik in Berlin offensiv vertreten– nicht im Clinch mit der DB AG und dem Bundeskanzleramt, sondern im Bündnis mit den Ländern. Für ein solches Reformwerk ließe sich zudem ein Großteil der Öffentlichkeit gewinnen.
KARL-MARTIN HENTSCHEL