Präsident regiert im Koma

Noch lebt Aserbaidschans Staatschef Gaidar Alijew. Sein Sohn Ilham, seit kurzem neuer Regierungschef, will seinen Vater politisch beerben – egal um welchen Preis

BERLIN taz ■ Aserbaidschans Staatspräsident Gaidar Alijew ist von den Toten wieder auferstanden. Allen hartnäckigen Gerüchten zum Trotz, der 80-jährige schwerkranke Staatschef sei bereits vor einigen Tagen gestorben (siehe taz v. 5. 8.), verließ Alijew türkischen Medienberichten zufolge gestern Morgen das Militärkrankenhaus Gata in Ankara in Richtung USA. In Ankara war er seit dem 8. Juli wegen Herzproblemen und Rippenbrüchen behandelt worden. Nach Informationen des Senders CNN-Turk wird Alijew künstlich beatmet und ist nur zeitweise bei Bewusstsein.

Am vergangenen Montag hatte das Parlament in Baku auf Vorschlag von Alijew dessen Sohn Ilham zum neuen Regierungschef ernannt. Wohl aus gutem Grund: Gemäß einer Verfassungsänderung vom vergangenen Jahr übernimmt der Premier automatisch das Amt des Staatspräsidenten, sollte dieser aus Kranheitsgründen verhindert sein. Zudem soll in Aserbaidschan am 15. Oktober ein neuer Präsident gewählt werden. Für diese Wahl hat sich Ilham Alijew bereits als Kandidat registrieren lassen.

Gerade frisch im Amt, fühlte sich Alijew junior bemüßigt, die Wogen zu glätten. Er werde die erfolgreiche Wirtschaftspolitik seines Vaters fortsetzen mit dem Ziel, die erreichte Stabilität aufrechtzuerhalten. Auch an einen Austausch bisheriger Kabinettsmitglieder werde nicht gedacht, sagte Alijew.

Der ambitionierte Präsidentenspross ist bei seinen Landsleuten alles andere als beliebt. Der 41-Jährige, der die Moskauer Elite-Kaderschmiede für Internationale Beziehungen (MGIMO) abschloss und anschließend mehrere Jahre in Istanbul als Geschäftsmann tätig war, kam erst 1993 – nach der Wahl seines Vaters zum Präsidenten – wieder nach Aserbaidschan zurück. Kurz darauf stieg er bei der staatlichen aserbaidschanischen Ölgesellschaft ein, deren Vizepräsident er wurde. Mittlerweile steht er in der Regierungspartei YAP an zweiter Stelle und leitet nebenbei auch noch das Nationale Olympische Komitee.

Abgesehen von dieser Ämterhäufung schaffte es der junge Alijew in der Vergangenheit mehrfach, sein Image, sowohl zu Hause als auch bei internationalen Organisationen, nachhaltig zu beschädigen. So wischte er unlängst eine Stellungnahme des Europarates, der sich kritisch über mehrere dutzend politische Gefangene in Aserbaidschan geäußert hatte, vom Tisch. Angesichts des Gerüchtes, Ilham Alijew sei einer der reichsten Männer des Landes, fragte die oppositionelle Zeitung Azadlig unlängst nach der Korrektheit von Alijews Einkommenserklärung, die für 2002 nur 6.500 Dollar ausweist. Zweifel an der demokratischen Gesinnung des neuen Ministerpräsidenten werfen auch Äußerungen vom vergangenen Wochenende auf. „Die Chancen der Opposition, an die Macht zu kommen, sind gleich null. Die Opposition besteht aus mittelmäßigen und unmoralischen Leuten, die unfähig sind, konstruktiv zu denken. Wir werden niemals ungebildeten Gemüsehändlern erlauben, an die Macht zu kommen“, hatte Alijew gesagt.

Die so geschmähte Opposition versteht die Botschaft nur zu gut. Sofort machten in ihren Kreisen nach der Ernennung Alijews Putschvorwürfe die Runde sowie das Argument, ein nominierter Kandidat könne laut Wahlgesetz keinen Regierungsposten bekleiden. Folglich sei die Ernennung Alijews illegitim.

Doch die Kritiker Alijews sind nicht nur in den Reihen der Opposition zu suchen. Schon kursieren Gerüchte, dass rund fünzig Regierungsbeamte, einschließlich einiger Minister, mit Oppositionsführern seit Wochen geheime Gespräche führen. Thema: die Nach-Alijew-Ära.

Doch noch ein anderes Szenario halten Beobachter derzeit nicht für unwahrscheinlich. Präsident Gaidar Alijew könnte einfach zurücktreten. In diesem Fall müssten neue Wahlen innerhalb von drei Monaten anberaumt werden, wodurch sich der geplante Termin um vier Wochen nach hinten verschieben würde. Dann fänden die Wahlen zeitgleich zu den Parlamentswahlen in Georgien statt. Die Hoffnung dabei wäre, dass es die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in diesem Fall kaum schaffe, beide Urnengänge angemessen zu beobachten. BARBARA OERTEL