Ein nicht fortgesetzter Versuch

Mit Gartenschläuchen, Ausnahmegenehmigungen und Leistungsdrosselungen versucht die französische Atomaufsichtsbehörde, der Probleme Herr zu werden, die der Sommer Europas Atomnation Nummer 1 bereitet

aus Paris DOROTHEA HAHN

„Flickschusterei“, wetterten die AKW-GegnerInnen und Grünen im Elsass vergangenen Donnerstag. Zu dem Zeitpunkt betrugen die Temperaturen im Inneren des AKW Fessenheim 48,2 Grad, und die Direktion hatte begonnen, erstmals in der Geschichte des 26-jährigen Reaktors seine Außenhaut mit Wasser zu besprühen. Zum Abkühlen. Vier Tage und tausende Kubikmeter später war die Innentemperatur am Montagabend auf 48,7 Grad geklettert. Und die Direktion drehte den Wasserhahn wieder zu. „Es war ein Versuch“, hieß es aus dem französischen Atomkonzern EDF, „aber er wird nicht an anderen AKWs wiederholt.“

Die ungewöhnlich Hitzeperiode sorgt in Frankreich für Temperaturen von 5 bis 7 Grad über normal. Nach zwei Monaten sorgt das im französischen Atompark, dem dichtesten der Welt, für schwere Konsequenzen: Zwar produziert Fessenheim weiterhin Energie, doch in 16 der 58 französischen Reaktoren musste die Produktion radikal gedrosselt werden, in manchen Fällen um bis zu 50 Prozent.

Die EDF und die Atomaufsichtsbehörde begründen das Herunterfahren der Kapazitäten mit erhöhten Wassertemperaturen. Denn AKWs werden mit Wasser gekühlt – in der Regel mit Flusswasser. Und dieses Wasser ist in Frankreich gegenwärtig nicht nur rund 5 Grad wärmer als sonst im Sommer, sondern auch so rar geworden wie seit Jahrzehnten nicht mehr. An der Loire etwa, an deren Ufer vier AKWs stehen (Dampierre, Saint-Laurent, Belleville, Chinon), ist der Wasserstand nur dank des Stausees von Villerest noch knapp auf normaler Höhe. In den nächsten Tagen werden die Wasservorräte jedoch nicht mehr reichen, das Niveau zu halten. An einigen Stellen haben die Aufsichtsbehörden mehreren AKWs befristete Ausnahmegenehmigung gegeben. Sie dürfen Wasser zurückleiten, dass bis 2 Grad über Flusstemperatur liegt. Sicherheitsprobleme, so versichert die EDF-Direktion, gebe es nicht. Auch Versorgungsengpässe seien nicht zu erwarten. Denn im Gegensatz zu ihren Nachbarn verbrauchen die Franzosen im Sommer weniger Energie als im Winter. Klimanalagen sind in Frankreich – noch – selten.

Dennoch wirft die Drosselung der Produktion ein Schlaglicht auf eine neue Lücke im Atompark. Längst ist bekannt, dass die AKWs der frühen Generation weder gegen Überschwemmungen und Erdbeben noch gegen Flugzeugabstürze oder Attentate wirksam geschützt sind. Jetzt kommt die Sommerhitze als zusätzlicher Risikofaktor hinzu. Ein Sprecher der AKW-kritischen Vereinigung Sortir du Nucléaire zitiert mit bitterer Ironie einen Werbeslogan der französischen Atomindustrie: Wir schützen die Erde vor der Klimaerhitzung. „Das hat offenbar nicht geklappt“, sagt der Atomkritiker. Mit Ausstiegsplänen aus der Atomproduktion hat die gegenwärtige Drosselung in Frankreich nichts zu tun. Im Gegenteil: Die französische Atomindustrie bastelt intensiv – und unter anderem zusammen mit deutschen Partnern – an den Reaktortypen der Zukunft. Als Standort für einen von ihnen, den Iter (ein thermonuklearer Experimentalreaktor), ist etwa das südfranzösische Cadarache im Gespräch. Dort ist erst im Juli die MOX-Produktion für deutsche AKWs beendet worden. Angeblich aus Sicherheitsgründen. Denn die erdbebengefährdete Falte der Durance liegt nur wenige Kilometer entfernt. Für eine neue Reaktorgeneration und eine etwaige künftige Aufbereitung militärischen Plutoniums aus der US-Armee hingegen scheint der Standort sicher genug zu sein. Jedenfalls hat die französische Atomfirma Cogema um den US-Auftrag beworben und Cadarache vorgeschlagen.