Die Stimmung ist besser als die Lage

aus Berlin BEATE WILLMS

Da sage noch einer, die Deutschen wären notorisch pessimistisch und schlecht gelaunt, das ganze Land ein Jammertal! Ganz das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Obwohl das Wirtschaftswachstum gerade erst das vierte Quartal in Folge abnahm und das Bruttoinlandsprodukt, also die Summe aller hierzulande produzierten Güter und Dienstleistungen, schon das zweite Mal in Folge real schrumpfte, bessert sich die Laune zusehends. Immer mehr Stimmungsindikatoren zeigen nach oben, und Bundeskanzler Gerhard Schröder lässt es sich nicht nehmen, bei jeder Gelegenheit „ermutigende Anzeichen“ und eine „konjunkturelle Belebung“ auszumachen.

Macht’s das Wetter? Liegt’s am schönen Sommer? Immerhin haben Konsumforscher in den USA unlängst – zugegebenermaßen wenig überraschend – herausgefunden, dass Sonnenschein und warme, aber nicht über 30 Grad ansteigende Temperaturen die Lust am Kaufen stimulieren. Ganz abgesehen von der Lust, in Biergärten herumzusitzen und die Gastronomie zu unterstützen. Oder sind es Schröder & Co einfach leid mit der ständigen Krise? Immerhin schwankte das Land noch nie so lange wie jetzt – drei Jahre – zwischen Stagnation und Rezession. Und: Wie Recht haben sie überhaupt?

„Ich wäre da sehr vorsichtig“, sagt Rolf Kroker, Leiter der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik beim marktwirtschaftlich orientierten Institut der Deutschen Wirtschaft (IW). „Der Wendepunkt ist noch nicht erreicht.“ Auch wenn Wirtschaft „sicher viel mit Psychologie zu tun“ habe, könne man sich doch nicht allein auf die Erwartungsindikatoren stützen. „Eine Stimmung kann kippen, sie muss erst mit harten Fakten unterfüttert werden.“ So sei man lange davon ausgegangen, dass es ein sicheres Zeichen sei, dass die Wirtschaft wieder anspringe, wenn der Ifo-Geschäftsklimaindex dreimal nacheinander steige. Dieser Index fragt die Hoffnungen und Pläne der Unternehmen ab. Er war im Juli zum dritten Mal in Folge gestiegen. „Seit Frühjahr 2002, als dies das letzte Mal passierte, wissen wir, dass es überhaupt nichts bedeuten muss“, so Kroker. Damals hatten die führenden sechs Wirtschaftsforschungsinstitute schon einmal auf ein Ende der Krise gesetzt und vorhergesagt, dass die Wirtschaft in Deutschland 2002 um 0,9 und 2003 um 2,4 Prozent wachsen würde. Davon blieb im vergangenen Jahr eine rote Null: Das Wachstum stagnierte.

Für dieses Jahr haben die Experten ihre Prognosen wiederholt nach unten revidiert. Sie liegen nahe beieinander zwischen minus 0,2 Prozent (Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung in Essen) und plus 0,1 Prozent (Institut für Wirtschaftsforschung Halle). Aus der Reihe schert nur die – notorisch optimistische – Bundesregierung, die immer noch hofft, dass die Wirtschaftsleistung um 0,75 Prozent wächst.

2004 arbeiten wir mehr

Mit den nicht nur von Kroker geforderten „harten Fakten“ ist es auch in diesem Jahr bislang nicht so weit her: Zwar konnte sich die deutsche Industrie nach den allerneuesten Zahlen im Juni über 2,3 Prozent mehr Aufträge freuen, aber die reichten nicht einmal, um das noch dickere Minus vom Mai auszugleichen, als die Auftragseingänge auf den niedrigsten Stand seit anderthalb Jahren fielen. Noch schlechter steht es um die Bauwirtschaft, die in den letzten zwölf Monaten 13 Prozent weniger Aufträge verbucht hat. Und dem Einzelhandel geht’s zwar auch schon wieder besser als im ersten Quartal, aber gerade mal so gut wie im letzten Dezember, als auch lange Samstage und Sonderaktionen das Weihnachtsgeschäft nicht retten konnten.

Trotzdem sind sich die Konjunkturexperten im Großen und Ganzen einig, dass es spätestens im nächsten Jahr wieder aufwärts geht, auch wenn sie vorsichtig sind, was das dann konkret bedeutet: Im Durchschnitt sagen sie ein Wachstum von 1,4 Prozent voraus. Allein zwischen 0,4 und 0,6 Prozentpunkte werden nach allgemeiner Überzeugung die zusätzlichen Arbeitstage bringen: Es gibt einen 29. Februar, und viele Feiertage fallen auf Sonntage, sodass sich die meisten Beschäftigten auf drei bis vier Tage – unbezahlte – Mehrarbeit einstellen müssen. „Es wird noch kein Aufschwung sein, der sich von Quartal zu Quartal verstärkt“, schätzt Andreas Cors, Konjunkturexperte beim eher sozialdemokratisch orientierten Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Dazu müsse der Aufwärtstrend stärker politisch unterstützt werden. Wie sein IW-Kollege Kroker hält er das „Ende der großen Unklarheiten“ für entscheidend. Gemeint sind nicht nur die großen geopolitischen Risiken, die der Wirtschaft in den letzten beiden Jahren weltweit die Stimmung verhagelt hatten, also Irakkrieg samt der Angst vor einem Ölpreisschock und die Lungenkrankheit Sars, sondern auch die deutsche Wirtschafts- und Sozialpolitik. „Verlässlichkeit, dass etwas passiert, ist im Moment noch wichtiger, als was hinterher tatsächlich für den Einzelnen dabei herauskommt“, so Cors.

Schulden müssen sein

Dass die großen Reformen im Gesundheits- und Sozialsystem jetzt angeschoben seien, stärke sowohl in der Bevölkerung als auch in den Unternehmen den Eindruck, „dass die Bundesregierung Politik macht“ und es deshalb vorangehe. Da die Reformen allerdings Jahre brauchten, um zu wirken, sei die Steuerreform ganz entscheidend, um diese Stimmung aufrechtzuerhalten. Damit die Konjunktur einen „nachhaltigen Schub“ bekomme, müssten die Menschen die Wirkung der Steuerreform auch spüren. Sie dürfe nicht von Gegenfinanzierungsmaßnahmen oder auch höhere Kassenbeiträge aufgefressen werden. Deshalb sei es wichtig, sie zunächst stärker als bisher geplant über eine Neuverschuldung vorzufinanzieren. „Es kommt auf das Timing an“, sagt Cors. Hilfreich seien auch höhere Löhne. Wenn die Verbraucher wieder ausgabefreudiger wären und die Konjunktur angelaufen sei, könne der Rest der Steuerreform über Subventionskürzungen und gestrichene Steuervergünstigungen bezahlt werden.

Kroker sieht das etwas anders und drängt vor allem auf eine strikte Umsetzung der Reformvorhaben, um die Unternehmen maßgeblich zu entlasten, damit sie wieder investieren.

Dass das funktionieren kann, ist allerdings wiederum zu bezweifeln. Es gibt keinen Grund, zu glauben, dass die Unternehmen ohne Not investieren, das heißt, ohne dass die Aufträge eine Kapazitätsausweitung oder eine Produktivitätssteigerung erforderten. „Der Konsumimpuls wird kaum auf die Investitonstätigkeit übergreifen“, heißt es so im Hallenser IWH.

Und ob der Export wie in den letzten Jahren als Impulsgeber wirken kann, gehört zu den unabsehbaren „Risiken“, die alle Prognostiker als Fragezeichen in ihre Vorhersagen eingebaut haben: Die Signale aus den USA sind widersprüchlich. Anzeichen, dass die Konjunktur wieder Tritt gefasst hat, steht eine anhaltend hohe Arbeitslosigkeit gegenüber, die die Konsumnachfrage, die das US-Wachstum normalerweise zu mehr als zwei Dritteln antreibt, einknicken lässt.

Bei alledem dürfte eines klar sein: Es wäre gut, wenn der nächste Sommer ähnlich schön würde wie der jetzige: Damit die Laune steigt und freie Zeit zumindest temporär attraktiv erscheint. Denn auf dem Arbeitsmarkt, da sind sich alle einig, wird sich vorläufig wenig bessern. Für dieses Jahr sagen die Institute rund 4,45 Millionen offiziell erwerbslos Gemeldete voraus. Im kommenden Jahr sollen es mehr als 4,5 Millionen werden. Mehr Arbeitsplätze entstehen nach einer alten Faustregel erst, wenn das Wirtschaftswachstum die Steigerung der Produktivität übersteigt. Und die liegt derzeit bei 1,5 bis 2 Prozent. Und ein solches Wachstum sagt für das nächste Jahr außer der rot-grünen Bundesregierung niemand mehr voraus.