Der Herr der Gezeiten

Steffen Oppel ist im Sommer der einzige Bewohner der Vogelinsel Trischen. Für den Naturschutzbund beobachtet er die Mausershow der Brandgänse, die jetzt beginnt. Das Ausflugsschiff „Lady of Büsum“ muss in dieser Zeit ausweichen

aus FriedrichskoogSINA CLORIUS

27 Grad im Schatten herrschen auf Trischen, „aber das ist ein Witz, denn hier gibt es keinen Schatten“, seufzt Steffen Oppel. Es gibt keine Bäume oder Häuser, die Schatten werfen könnten. Nur die Holzhütte auf sechs dicken Pfählen, unter der sich der 27-jährige Vogelwart aus einem angeschwemmten Fischernetz eine Hängematte gebaut hat. Doch in der liegt er nur selten, vielleicht ein Stündchen bei Hochwasser. „Das Leben hier wird völlig von den Gezeiten und vom Wetter bestimmt“, sagt Oppel, der es aufgegeben hat, dem Wettereinfluss auf seine Frisur mit einem Kamm beizukommen. Für den Naturschutzbund (NABU) und das Nationalparkamt Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer dokumentiert er von März bis Oktober die Tier- und Pflanzenwelt auf Trischen und im umgebenden Watt.

„Langweilig? Hier ist es nie langweilig“, stellt der studierte Landschaftsökologe klar: „Die Insel sieht jeden Tag anders aus.“ Er lässt seinen Blick über den Strand schweifen. „Hier waren bis vor kurzem noch Dünen. Aber die wurden bei der letzten Sturmflut weggerissen. Auf anderen Inseln würde dann gleich wieder künstlich Sand vorgespült.“ So veränderlich wie die Küstenlinie sei auch die Vogelwelt, sagt er und fixiert mit dem Fernglas einen dichten Schwarm schwarz-weißer Punkte im Watt: „Brandgänse. Vor einer Woche waren es noch 25.000, am Sonnabend habe ich 43.000 gezählt.“

Nach der Brutzeit trifft sich die Hälfte aller europäischen Brandgänse im geschützten Watt um Trischen, um ihr Federkleid zu wechseln. Sie können in dieser Zeit nicht fliegen und sind deshalb extrem scheu. Schon auf zwei Kilometer Entfernung schwimmen sie vor Schiffen davon. „Jeden Tag ruft mich der Kapitän der ‚Lady von Büsum‘ an und fragt, wo er mit seinem Ausflugsschiff fahren kann“, erzählt Oppel. „Am liebsten würde ich ihm sagen, er soll das Fahrwasser mit den Brandgänsen ganz meiden. Aber das geht natürlich nicht. Ich sage ihm dann, wo er umkehren muss.“

Der Strand ist voller schwarz-weißer Brandgansfedern. Dazwischen liegt, halb im Sand verborgen, eine tote Heringsmöwe. „Hier kann eben jedes Tier tot umfallen, wo es will, und bleibt dort liegen“, erklärt Oppel, den der Anblick nicht stört. An den Möwen zeige sich ebenfalls der Wandel im Watt: „1990 war die Insel eine Seeschwalben-Brutkolonie mit 7.000 Tieren. Inzwischen gibt es hier nur noch ein Viertel der früheren Seeschwalbenzahlen, dafür haben die Möwen auf über 16.000 Tiere zugenommen.“ Die Seeschwalben seien auf eine benachbarte Vogelinsel ausgewichen. Vielleicht wegen der Möwen, die ihre Eier und Küken fressen. „Manche wollen die Möwen deshalb abschießen. Aber das macht keinen Sinn, wenn man sie auf der anderem Seite mit Müllhalden und dem Beifang der Fischkutter füttert.“

Nein, der Vogelwart ist dagegen zu entscheiden, was „gute“ und was „schlechte“ Vögel sind. „Es nützt nichts zu sagen: Hier ist Nationalpark Zone eins, hier darf sich die Natur ausbreiten, aber dort ist der Mensch. Die Natur braucht einfach mehr Platz, weil sie sich ständig verändert.“

Doch viel Raum ist nicht auf den 180 Hektar Vogelinsel. Im Norden ragt das Büsumer Hochhaus empor, über 50 Dithmarscher Windräder bestimmen die östliche Horizontlinie. Im Süden, weniger als zehn Kilometer entfernt, steht eine Ölplattform in der Nordsee. „Nachts ist die Plattform hell erleuchtet“, erzählt Oppel. „Bei Südwind höre ich sogar die Arbeitsgeräusche. Dazu kommen die Lichter der Containerschiffe. Einsam fühle ich mich hier nicht.“