Der Fleck auf dem Spiegel

Verkleidung und Maskierung wichtige Bestandteile exquisiter Selbstdarstellung: Unter dem Titel „Zwiesprache“ ist im Altonaer Museum derzeit eine Auswahl nach 1900 entstandener fotografischer Porträts aus der Berlinischen Galerie zu sehen

von MARC PESCHKE

Die Bedeutung des fotografischen Mediums im 19. Jahrhundert gründete sich auf das Bedürfnis des aufstrebenden Bürgertums nach repräsentativer Selbstdarstellung – denn Eitelkeit war von Anfang an das Brot der fotografischen Zunft. Diesem Bedürfnis nach dem „Ich bin‘s!“ verdankt die Fotokunst wunderbare Beispiele des Porträts.

Eine der schönsten Porträtsammlungen in Deutschland besitzt die Berlinische Galerie – eine Auswahl ist jetzt im Altonaer Museum zu sehen. Zwiesprache heißt die Schau, die einen Querschnitt der Sammlung zeigt, unterteilt in Gattungen wie „Stilisierung als Lebensform“, „Ausdrucksstudien“, „Das fotografische Bildnis“, „Das fotografierte Selbst“, „Das Volksgesicht“, „Augenblicksbilder“ oder „Ikonen der Schönheit“.

Zeitlich beginnt die Ausstellung um 1900 – der Zeit des feinen, kunstfotografischen Lichtbildes. Mit Edeldrucktechniken wollten die Fotografen Bilder „malen“, wie etwa das 1906 entstandene Richard Strauss-Porträt von Edward Steichen zeigt. Die Formen lösen sich auf – und der dämonisch dreinblickende Komponist versinkt im geheimnisvollen Sumpf der fotografischen Schicht.

Stilisierung als Lebensform: Es galt als fein, sich bei dem Berliner Nicola Perscheid fotografieren zu lassen. Das künstlerische Ergebnis sind klassische, an der Malerei des Jugendstil geschulte Posen. Wunderbar etwa die preussischen Prinzessinnen beim Sommerspaziergang, ganz in Weiß auf einer Wiese – oder eine Porträtstudie von Anna Muthesius aus dem Jahr 1911, fotografiert von Jacob Hilsdorf.

Nur wenige Jahre später hatte sich ein neuer fotografischer Stil durchgesetzt, für den etwa die Wienerin Steffi Brandl steht, die Mitte der zwanziger Jahre am Kurfürstendamm ein Studio betrieben hatte, ehe sie 1932 nach New York emigrierte. Brandls Porträts führen einen neuen, subjektiven Frauentyp vor, wie ein 1928 entstandenes Foto der Tänzerin Berthe Trümpy zeigt.

Einer der häufigsten Impulse, ein fotografisches Porträt anzufertigen, ist die Frage „Wie sehe ich aus?“ Selbstporträts sind nicht selten. Der Spiegel ist ein Hilfsinstrument, beim fotografischen Prozess die Kontrolle zu behalten. Vor allem zeigt die Ausstellung den Wunsch nach Selbstbefragung, aber auch nach einer Veränderung des eigenen Bildes. Rollenspiel und Maskierungen sind dabei selbstverständliche Techniken. Eine wirkliche Neuentdeckung der Schau ist zum Beispiel Marta Astfalck-Vietz, die sich im Abendkleid mit Augenschleier und Prinzessinenkrönchen zeigt. Mit Pathos kommt dagegen Dieter Appelt daher: Der Fleck auf dem Spiegel, den der Atemhauch schafft hat der Berliner ein Selbstporträt von 1978 genannt.

1981 konnte die Berlinische Galerie etwa 4.000 Fotografien aus dem Archiv der Zeitschrift Volk und Welt erwerben, die von 1934 bis 1944 erschien. In der Altonaer Schau sind vor allem Fotos von Erna Lendvai-Dircksen zu sehen, die 1930 den Bildband Das deutsche Volksgesicht publizierte. In ihren Arbeiten zeigt sie den Hochofenarbeiter von der Saar oder die Fischertochter von der kurischen Nehrung – frühe Zeugnisse einer rassisch argumentierenden Fotografie, die während des Nationalsozialismus immer wieder publiziert worden ist.

Ganz anders dagegen eine in der gleichen Zeit entstandene Arbeit von Umbo. Ruth Maske, die maskierte Schauspielerin Ruth Landshoff, ist ein Porträt von dunkler Erotik zwischen Realität und Fiktion. Ein 1957 entstandenes Bild von Herbert Tobias trägt den tiefen Sinn des fotografischen Mediums schon im Titel. Der Porträtfotograf möchte das Gesehene in ein unvergängliches Bild gießen. „In memoriam an einen wunderbaren, unvergesslichen Menschen: Peter“ zeigt den (verstorbenen?) Freund im Zentrum des Bildes, dramatisch ausgeleuchtet mit kleinem schwarzem Hut – und traurigen, unvergesslichen Augen.

Di–So 11–18 Uhr, Altonaer Museum; bis 31.8.