berliner szenen Alles unter Kontrolle

Herr T. steht am Strand

Herr T. steht am Wasser, die Füße im Sand. Es herrscht große Hitze. Aber Herr T. ist ein Mann, der die Sonne nicht scheut. Er legt sich nicht auf ein Handtuch im Schatten wie die Gesundheitsapostel mit ihrem Ozon. Herr T. steht in der Hitze und hat alles im Blick: Die Bikini-Mädchen. Den Getränkekiosk. Herr T. steht da und guckt, was passiert. Er schaut auf das heulende Kind, das an der großen Hand des Bademeisters hängt. Mit seinem Leben hat es längst abgeschlossen, Herr T. kann das deutlich erkennen. Er weiß, wie die Dinge hier laufen.

Nur selten bewegt sich Herr T., dreht seinen Körper. Drüben auf der anderen Seite des Sees baden die Leute, die kein Geld haben fürs Strandbad, Herr T. kann sie sehen. Drüben schwimmen schmutzige Unterhosen im Wasser. Die Kinder spießen die Unterhosen auf Stöcke und bewerfen sich damit. Herr T. zahlt Eintritt, das ist er sich wert. Es ist nicht so, dass sich hier die Ereignisse überschlagen. Es ist nicht so wie an der Havel. Wo der Frachtkahn „Bärbel“ gestern fast mit dem Ausflugsdampfer „Heiterkeit“ zusammengestoßen wäre und das Wasser sich beinahe rot gefärbt hätte von den zwei Schwimmern, die bei der Kollision irgendwie in die Schiffschraube das Frachtkahns geraten wären. Die Touristen auf dem Dampfer hätten aufgeschrien, die Menschen am Ufer wären von ihren Handtüchern aufgestanden und hätten geguckt, und der Kapitän der „Bärbel“ hätte das Rumpeln unter dem Heck seines Schiffes nicht einmal bemerkt, so beschäftigt wäre er mit dem Manöver des Zusammenstoßes gewesen. Aber das ist eben die Havel, ein fließendes Gewässer. Am Plötzensee passieren keine Zwischenfälle wie diese. Und am Strand steht ja Herr T. Er steht in der Sonne und hat alles unter Kontrolle. KIRSTEN KÜPPERS