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: Wie der Fußball nach Deutschland kam

Bensemanns fixe Idee

Es war zunächst nur eine fixe Idee, diese Idee Walther Bensemanns von Fußballmatches gegen die Engländer auf dem Kontinent. Die wenigen 1.000 Fußballspieler, die anno 1899 in Deutschland kickten, hatten andere Probleme. Nicht einmal die Regeln dieses seltsamen Sports wurden verstanden, noch dazu wurde er im Kaiserreich als „Engländerei“ beschimpft, als etwas Undeutsches. Zudem galt Fußball als unästhetisch: Er erniedrige den Menschen zum Affen, hatte ein Stuttgarter Turnlehrer geschrieben.

Bensemann ließ sich davon nicht weiter irritieren. Der rührige Student verhandelte in London erfolgreich mit der Football Association, in Berlin, Prag und Karlsruhe organisierte er die nötigen Spielflächen, und dazu gewann er mit Reichskanzler Fürst von Hohenlohe sogar einen präsentablen Schirmherren. Alles schien perfekt. Als der Kanzler jedoch kurzfristig absprang, der Berliner Polizeipräsident das Match am Bußtag als unangemessenes „Vergnügungsspiel“ untersagte, und, noch dramatischer, er auch die 2.000 Goldmark Gage für die Engländer nicht rechtzeitig aufbrachte, drohte Bensemann ein veritabler Gesichtsverlust. „Ich werde mich erschießen“, schrieb er seinem Freund Ivo Schricker.

Dazu kam es nicht. Die vermögende Mutter Schrickers, der 33 Jahre später Generalsekretär des Weltverbandes Fifa wurde, half aus. Als „Ur-Länderspiele“ gingen die vier Matches in die Fußballgeschichte ein, auch wenn sie der Deutsche Fußballbund in seiner Statistik nicht führt, weil er erst ein Jahr später (unter Mitwirkung Bensemanns) gegründet wurde. Sie gehören zu den größten Pioniertaten jenes Bensemann, dessen pittoresker Lebenslauf nun in einem exzellent recherchierten biografischen Roman gewürdigt wird.

Es ist dies die faszinierende Biografie eines Bonvivants, der beseelt war von einem romantischen Gedanken: Mit dem Fußball diejenigen Grenzen niederzureißen, die der Nationalismus und andere neue Ideologien gerade schufen. „Der Sport ist eine Religion, ist vielleicht das einzige wahre Verbindungsmittel der Völker und Klassen“, so goss er sein Credo später in einen einzigen Satz – als Herausgeber des von ihm 1920 gegründeten kicker. Längst der renommierteste deutsche Fußballpublizist, warb er darin für Internationalismus, Völkerverständigung und Friedensidee. In diesen 20er-Jahren schien Bensemann geradezu omnipräsent auf den großen Fußballplätzen Europas und auf all jenen Kongressen, die den modernen Fußball heutiger Machart prägten.

Der Rückzug des Pioniers im Jahr 1933 indessen vollzog sich leise. Auch das Buch vermag nicht aufzuhellen, wie der Sohn eines säkularisierten jüdischen Bankiers überrollt wurde von der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Aber es entwirft ein Szenario dafür, wie ein zuvor anerkannter deutscher Jude zum Exil gezwungen worden sein könnte: In einem fiktiven Gespräch drohen ihm sein kicker-Mitinhaber und ein Gestapo-Mann damit, seine homosexuellen Neigungen öffentlich anzuprangern. Bensemann reist daraufhin völlig verbittert ab in die Schweiz. Von seinem Drittelanteil beim kicker sieht er nichts mehr, und bis zu seinem Tod 1934 ist er auf die Hilfe von Freunden angewiesen.

Dem Autor glückt es in seinem Buch, auf den ersten Blick verwirrende Details aus der längst vergessenen Frühzeit des deutschen Fußballs in eine wohl geordnete und zugleich sehr lesenwerte Form zu bringen. Es ist zudem eine einfühlsame, zuweilen sogar bewegende Schilderung einer historischen Figur des Fußballs, die, obwohl sie seinerzeit von der Öffentlichkeit als schillernd und extrovertiert wahrgenommen wurde, in Wirklichkeit von einer tiefen Melancholie bedrückt wurde. Der Charakter Bensemanns wird von Bernd Beyer freigelegt, und zwar mit der beharrlichen Behutsamkeit eines Archäologen, der die entscheidenden Sedimente Zug um Zug vom dicken Staub der Geschichte befreit.

ERIK EGGERS

Bernd-M. Beyer: „Der Mann, der den Fußball nach Deutschland brachte. Das Leben des Walther Bensemann. Ein biografischer Roman“. Werkstatt-Verlag Göttingen 2003, 560 Seiten, 26,90 €