Am Wendepunkt angekommen

Im Zentrum der Welt-Aids-Konferenz steht Asien. Sollte sich dort die Epidemie weiter ausbreiten, wäre es eine Katastrophe für die gesamte Region

„Die Konferenz muss ein Weckruf sein, vor allem für die Regierungen Asiens“, sagt ein Experte

AUS BANGKOK NICOLA GLASS

„Zugang für alle“ lautet das Motto der 15. Welt-Aids-Konferenz, die gestern in Thailands Hauptstadt Bangkok eröffnet wurde. Mit rund 17.000 Delegierten ist diese Veranstaltung die größte, die bislang zu der tödlichen Immunschwäche stattgefunden hat. Zudem ist sie die erste internationale Aidskonferenz in Südostasien. Zum Auftakt warnte UN-Generalsekretär Kofi Annan vor einer Aidspandemie in Asien. Im Kampf gegen die Krankheit stehe Asien an einem Wendepunkt, sagte Annan gestern in Bangkok.

Nach Angaben von Experten könne sich Aids hier in den kommenden drei Jahren drastisch ausbreiten, wenn die regionalen Regierungen nicht entschieden genug dagegen vorgingen. So wäre eine Verbreitung von HIV und Aids in China, Indien und Indonesien, die zusammen rund 40 Prozent der Weltbevölkerung ausmachten, geradezu katastrophal. „Wie Sie diese Herausforderung annehmen, wird die Zukunft der Region beeinflussen“, so der UN-Generalsekretär weiter.

In der Bewältigung dieser Herausforderungen sehen Kritiker die besondere Crux. Die diesjährige Welt-Aids-Konferenz müsse so etwas sein wie ein „Weckruf weltweit, aber insbesondere für die asiatischen Regierungen“, betonte auch Dr. Peter Piot von UN-Aids, dem HIV-/Aidsprogramm der Vereinten Nationen. Zugleich unterscheide sich dieser Gipfel völlig von denen der vergangenen Jahre. Es habe eine deutliche Bewegung bei politischen, technischen und finanziellen Instrumentarien gegeben. Das Motto „Zugang für alle“ bedeute aber nicht nur Zugang zur medizinischen Behandlung, sondern gleichermaßen Zugang zu Prävention.

Vor allem müssten die speziellen Bedürfnisse von Frauen zur Sprache kommen, machte Grebile Nidiouvu vom „International Council of Women“ deutlich. Dadurch dass sich weltweit immer mehr Frauen infizierten, habe die Aidsepidemie zunehmend „ein weibliches Gesicht“ bekommen. Auch erheben Randgruppen immer stärker ihre Stimme: „Es ist eine Menge in unserem Land getan worden, aber wir haben noch einen weiten Weg vor uns“, ergänzte Paisan Suwannawong, Mitbegründer des „Thai Drug Users’ Network“.

Der Gastgeber Thailand galt seit Anfang der 90er-Jahre als Erfolgsmodell bei der Aidsbekämpfung. Seit 1991 konnte die Zahl der Neuinfektionen drastisch gesenkt werden: Von damals rund 143.000 auf knapp 19.000 im vergangenen Jahr. Allerdings, so warnen Experten, sind die Kampagnen der letzten 13 Jahre an der jüngsten Generation spurlos vorübergegangen: Nur ungefähr 5 Prozent aller Kinder und Jugendlichen werden heute überhaupt über die Ursachen von Aids aufgeklärt. Eine Entwicklung, die für einen der prominentesten Kämpfer in Thailand, Senator Mechai Viravaidya, ein Warnsignal ist: „Überall auf der Welt müssen Prävention und Behandlung Hand in Hand gehen“, so Mechai. Eines ohne das andere habe keinen Sinn.

Die Immunschwäche einzudämmen ist auch eine Frage des politischen Willens. So hat der Global Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria die US-Behörden zu einer raschen Zulassung billigerer Aidsgenerika für die Entwicklungsländer aufgefordert. Er hoffe, dass die US-Gesundheitsbehörde FDA innerhalb von zwei Monaten grünes Licht für die Abgabe von preisgünstigeren Nachahmerprodukten geben werde, so der Geschäftsführer des Global Fonds, Richard Feachem. Erst dann könnten mit US-Geldern finanzierte Aidsprogramme in der so genannten Dritten Welt Generika einsetzen, die aus Gründen des Patentschutzes nicht in den USA angeboten werden. Der Global Fonds werde 2005 Gelder in Höhe von 3,5 Milliarden Dollar benötigen, so Feachem. Dass laut UN-Aids Milliarden von US-Dollar zur Aidsbekämpfung in ärmeren Ländern fehlen, wollen Aktivisten wie Donald de Gagné, einer der Hauptorganisatoren der Konferenz, nicht länger hinnehmen: „Die Konferenz ist die Gelegenheit für uns, darauf zu drängen, mehr Geld auszugeben.“