Mit Geld allein lässt sich Aids nicht heilen

Die Kosten zur Bekämpfung der Krankheit steigen dramatisch an – doch Strukturen, um dieser Herausforderung zu begegnen, gibt es nicht. Nun gewinnt unter dem Einfluss der steigenden Infektionszahlen die Forderung nach Schuldenerlass wieder neue Anhänger

Aidsprävention ist wie Grundschulbildung: Man muss immer wieder von vorn beginnen

BERLIN taz ■ Was zu tun wäre, ist bekannt – wer es bezahlen soll, ist die ungelöste Frage der diesjährigen Welt-Aids-Konferenz in Bangkok. 4,7 Milliarden Dollar gab es weltweit für Aidsbekämpfung letztes Jahr, schrieb das zuständige UN-Programm UN-Aids in seinem am 6. Juli veröffentlichten Jahresbericht; 12 Milliarden Dollar werden 2005 nötig sein, 20 Milliarden im Jahr 2007. Das ist viel mehr als die 10 Milliarden Dollar pro Jahr, von denen die UNO bisher ausging und die auch bisher schon nicht gedeckt sind. Es ist das offizielle Eingeständnis, dass die Ausbreitung von HIV/Aids außer Kontrolle geraten ist, mit einer rapide steigenden Zahl von Neuinfektionen (siehe Kasten) und einer um rund 3 Millionen im Jahr verharrenden Zahl von Todesfällen.

„Die gute Nachricht ist, dass die Welt ihre Ressourcen zur Aidsbekämpfung erheblich erhöht“, schreibt UN-Aids und warnt zugleich: „Wir müssen nicht nur mehr Ressourcen sammeln, sondern auch sicherstellen, dass sie vernünftig ausgegeben werden.“ Nicht dass kein Geld da wäre. Öffentliche und private Ausgaben für Aidskranke liegen in den USA bei über 30.000 Dollar pro Kopf pro Jahr. In Afrika sind es weniger als 30. „Weniger als 20 Prozent der Menschen in Ländern mit geringem und mittlerem Einkommen, die Zugang zu Präventionsprogrammen brauchen, haben diesen Zugang; nur 7 Prozent der Menschen in diesen Ländern, die antiretrovirale Behandlung brauchen, bekommen sie“, so UN-Aids.

In Afrika südlich der Sahara sind es sogar nur 3 Prozent. Die für Aidsbekämpfung ausgegebenen Gelder, so der Bericht, hätten sich seit 2002 fast verdreifacht, aber erreichten noch immer nicht diejenigen, die sie am dringendsten brauchten: benachteiligte Bevölkerungsgruppen in den afrikanischen Ländern mit den höchsten Infektionsraten.

Die Veränderung dieses Zustands kann nur international koordiniert erfolgen. „Zwei Drittel der globalen Finanzierung für 2005 und folgende Jahre müsste von der internationalen Gemeinschaft kommen“, schreibt UN-Aids und identifiziert fünf Finanzquellen für ein globales Aidsbekämpfungsprogramm: Staatshaushalte, Entwicklungshilfe, UN-Gelder, den Globalen Fonds zum Kampf gegen Aids, Tuberkulose und Malaria, und den Privatsektor, der private Stiftungen einschließt.

Diese Quellen sind von unterschiedlichem Gewicht. Sonderprogramme privater Stiftungen spielen trotz ihrer Medienwirksamkeit eine geringe Rolle. Wichtiger ist der Globale Fonds zum Kampf gegen Aids, Malaria und Tuberkulose, der nach den Hoffnungen der UNO bei seiner Einrichtung im Jahr 2001 10 Milliarden Dollar pro Jahr erreichen sollte. Diese Zahl wurde nie erreicht. Rund 5 Milliarden Dollar (2,1 Milliarden Dollar reale Gelder, der Rest Zusagen) hat der Fonds bis Anfang 2004 erhalten, er gab 2,1 Milliarden Dollar in 124 Ländern aus, wovon 60 Prozent in die Aidsbekämpfung floss.

Die US-Regierung versprach letztes Jahr 15 Milliarden Dollar zur Aidsbekämpfung bis 2008, wovon 9 Milliarden tatsächlich neues Geld sind und 2,4 Milliarden im ersten Jahr fließen, eine Milliarde geht in den Globalen Fonds. Aber auch das kann nur ein Teilprogramm sein. Nach wie vor bleiben die Gesundheitshaushalte armer Länder das Hauptvehikel für Aidsbekämpfung – und ihre Höhe ist von der Laune der Machthaber, der Konjunktur und den Bedingungen der Geberländer abhängig.

Gesundheitspolitik, zumal der Kampf gegen Aids, ist eben nur eine von vielen Prioritäten. Wie soll man abwägen, ob ein Haushaltsposten von 20 Millionen Dollar in HIV-Prävention oder in sauberes Trinkwasser investiert werden soll, in mehr Grundschulen oder in die Gehälter von Krankenschwestern? Oder ein bisschen für alles?

Die öffentliche Gesundheit kann aber nicht auf Kosten der Schulbildung erreicht werden und umgekehrt. Allein um das WHO-Ziel zu erreichen, bis 2005 die Zahl der mit Medikamenten behandelten Aidskranken weltweit von 400.000 auf 3 Millionen zu erhöhen, müssen nicht nur billige Medikamente geliefert werden, sondern auch Kapazitäten in den Gesundheitssystemen der betroffenen Länder entstehen. Und Aidsprävention, das wissen die Experten inzwischen, ist wie Grundschulbildung: Man muss immer wieder von vorn beginnen, mit allen neu dazukommenden Menschen. In den am schwersten betroffenen Ländern im südlichen Afrika bedeutet der Kampf gegen Aids viel mehr als nur der Kampf gegen die HIV-Ausbreitung und die Pflege von Kranken – es geht um die Rettung des gesamten Sozialgefüges.

Die Plädoyers für mehr Geld reichen vielen nicht mehr. In Afrika, aber auch unter neoliberalen Ökonomen in den USA, gewinnt unter dem Eindruck von Aids die Forderung nach Streichung der Auslandsschulden neue Anhänger. Den eingesparten Schuldendienst in die Gesundheitssysteme und in die Verbesserung der Lebensbedingungen der ärmsten Bevölkerungsgruppen zu stecken wäre der radikalste und einfachste Weg, den Kampf gegen Aids und andere Seuchen, gegen Hunger und menschenunwürdiges Dasein sofort in ganz andere Dimensionen zu heben. DOMINIC JOHNSON