Kapitalistische „Kulturrevolution“

betr.: „Arbeitslosen droht eine Abstiegsspirale“, Interview mit Harald Rein, taz vom 2. 8. 03

Was sich in der deutschen Gesellschaft anbahnt, ähnelt einer „Kulturrevolution“. Durch die gegen allgemeinen Protest durchgesetzten „Befristungsgesetze“ an den deutschen Hochschulen können bestens qualifizierte WissenschaftlerInnen nach zwölf Jahren Tätigkeit an einer Hochschule dort nicht mehr weiter beschäftigt werden, auch nicht in Drittmittelprojekten, wodurch ebenfalls die Fortführung von Forschungsprojekten in Frage gestellt wird. Diesen WissenschaftlerInnen droht Arbeitslosigkeit, jedenfalls in Deutschland. Nun, nach den verschärften „Zumutbarkeitsregeln für Erwerbslose“, folgt also, dass sich diese WissenschaftlerInnen nach einer kurzen Karenzzeit auf jede sich bietende Stelle bewerben müssen, die ihnen angeboten wird, sie werden zu HilfsarbeiterInnen degradiert. (Lediglich PolitikerInnen finden nach ihrem Rückzug aus der Politik immer wieder ein gut dotiertes Pöstchen in einem Aufsichtsrat.)

ForscherInnen oder auch anderen qualifizierten Erwerbslosen bleibt lediglich die Alternative des Auswanderns, und Deutschland dürfte künftig entsprechend der „Scientific Community“ nur noch am unteren Rande des Rankings dümpeln.

HELGA SCHNEIDER-LUDORFF, Oberursel

Alle die ins Arbeitslosengeld II rutschen, haben unter denselben Bedingungen zu leben wie diejenigen, die bisher Sozialhilfe bezogen, aber selten zuvor aus der Arbeit resultierende Steuern bezahlt haben. Weiter heißt dies, dass ein Job, der angeboten wird, nicht mehr ausgeschlagen werden darf, wenn das Einkommen das Niveau der Sozialhilfe erreicht. Es ist also egal, ob man mit oder ohne Arbeit verhungert. Jemand, der berufstätig war und aus seinem Job herausgefallen ist, wird es in der Zukunft nicht mehr schaffen, einen Arbeitsplatz zu finden, der für den bisher erarbeiteten Lebensstandard reicht.

Es muss, sofern vorhanden, das Auto abgestoßen werden und möglicherweise muss man auch eine kleinere Wohnung suchen. Vielleicht führt der Weg direkt in die Obdachlosigkeit. Denn die Zumutbarkeit von Stellen, egal welche Anforderungen da vorausgesetzt werden, liegt auch für Menschen mit Diplom oder Doktortitel auf dem Sozialhilfeniveau. Kommt noch hinzu, dass Arbeitsämter auf die Vermittlung soviel Wert legen wie ein Möbelpacker auf das Tragen eines Klaviers. Wer sich in diesen bürokratischen Klauen befindet, hat irgendwann seine eigene Würde verloren. Wehren kann sich dagegen niemand. Es wird so Gesetz. Menschen, die keine Arbeit finden, wird auf brutale Weise gezeigt, wie überflüssig sie für diese Welt sind. […]

CLAUS LANGBEIN, Kornwestheim