Neues Wettrüsten droht

Ostasien muss kernwaffenfrei werden. Denn setzt Nordkorea sein Atomprogramm fort, rüsten auch die Nachbarn auf. Europa muss und kann dazu beitragen, das zu verhindern

Europa muss notfalls alleine die Ideen und Mittel für eine stabile Friedensarchitektur zur Verfügung stellen

Endlich gibt es gute Nachrichten aus Ostasien: Nordkorea ist bereit, zusammen mit den USA, China, Russland, Südkorea und Japan sein umstrittenes Atomprogramm zu erörtern. Bislang hatten die Machthaber in Pjöngjang darauf bestanden, nur mit den Vereinigten Staaten zu verhandeln. Nach Wochen deprimierender Berichte über eine weitere Atomanlage, einer großen Zahl aufbereiteter atomarer Brennelemente und kriegerischer Töne muss diese Entwicklung für eine friedliche Zukunft genutzt werden. Eine weitere Chance wird es so bald nicht wieder geben.

Es gibt keine echte Alternative zu einer Verhandlungslösung: Nordkorea würde selbstständig einen Nuklearwaffentest durchführen und sich zum Atomwaffenstaat erklären. Es besitzt Trägersysteme, die nukleare Sprengköpfe bis Japan tragen können. Zudem scheint das Land noch weitreichendere Raketen zu entwickeln. Japan könnte in diesem Moment seine Zurückhaltung aufgeben und ebenfalls die nukleare Option wählen. Zumindest wird die Regierung in Tokio den Aufbau einer regionalen Raketenabwehr forcieren und massiv aufrüsten.

Auch Südkorea sähe sich gezwungen, entsprechende militärische Schritte in die Wege zu leiten. Der für seine „Sonnenscheinpolitik“ bekannte Expräsident Kim Dae Jung hatte anlässlich der Übergabe der Amtsgeschäfte an seinen Nachfolger gedroht, dass auch Südkorea durchaus in der Lage wäre, Atomwaffen zu entwickeln. Das uns aus dem Ost-West-Konflikt bekannte Sicherheitsdilemma mit seinen Aufrüstungsschüben wäre damit auch in Ostasien etabliert. China und Russland, vielleicht auch Indien und Pakistan, würden aus dieser Lage in Ostasien ebenfalls neue sicherheitspolitische Rückschlüsse ziehen. Damit würde die Prognose des UN-Sekretärs für Abrüstung, Jayantha Dhanapala, eintreten, „dass der globale Konsens über das Tabu der nuklearen Waffenverbreitung schrittweise zerbrechen könnte, wenn mehr Länder ihre nuklearen Optionen überdenken“. Zusammen mit den Absichten der Bush-Regierung, neue, kleinere und zielgenauere Atomwaffen zu entwickeln und anzuwenden, stünden wir vor einer Weltnuklearunordnung.

Es ist daher im deutschen und europäischen Interesse, diesen Weg zu versperren. Die Bundesregierung und die Europäische Kommission müssen die kommenden multilateralen Gespräche konstruktiv begleiten. Europa darf nicht abseits stehen, wenn über die Zukunft in Ostasien gesprochen wird. Europa hat ein Interesse an einer friedlichen Deeskalation der Krise um Nordkorea. Europa muss notfalls alleine die Ideen und Mittel zur Verfügung stellen, die eine stabile Friedensarchitektur gewährleisten. Unsere Region ist in einem Geflecht multilateraler Verabredungen gewachsen. Rüstungskontrolle und Verifikation waren die herausragenden Bestandteile dieses Weges. Heute erleichtern sie unmittelbar den europäischen Erweiterungs- und Integrationsprozess.

Selbst wenn andere Regionen vom europäischen Weg abweichende Dialog- und Verständigungskulturen entwickelt haben, spricht auch dort nichts gegen den Versuch multilateraler Verabredungen. Vor diesem Hintergrund muss auch die Bundesregierung an der Befriedung in Korea mitwirken. Schon einmal war Berlin zeitweise Schauplatz für eine Verständigung zwischen den koreanischen Konfliktparteien und den USA im Rahmen des Kedo-Prozesses. Die 1995 von den USA, der Republik Korea und Japan gegründete „Korean Peninsula Energy Development Organisation“ (Kedo) dient der Umsetzung des nordkoreanisch-amerikanischen Rahmenabkommens vom Oktober 1994, in dem sich Nordkorea dazu verpflichtete, im Gegenzug für die Lieferung zweier Leichtwasserreaktoren, sein Nuklearprogramm einzufrieren. Die EU beteiligt sich an dem Programm. Nichts spricht gegen einen weiteren Versuch.

Dabei sollte man sich an ein Konzept erinnern, das so alt ist wie der Konflikt selbst: die Schaffung einer kernwaffenfreien Zone auf der koreanischen Halbinsel. Es war die nordkoreanische Seite, die während des Ost-West-Konflikts dieses Modell – zweifellos mit ganz anderen Absichten – entworfen und gefordert hat. Sie könnte einem solchen Vertragswerk allerdings auch heute positive Seiten abgewinnen, verbindet es doch Sicherheitsgarantien der Atomwaffenmächte mit der Aussicht auf eine eigenständige Entwicklung zwischen Nord- und Südkorea. Derzeit existieren weltweit fünf kernwaffenfreie Zonen (Antarktis, Mittel- und Lateinamerika, Südpazifik, Südostasien, Afrika). Die Mitglieder dürfen weder im Geltungsbereich noch anderswo Kernwaffen entwickeln, bauen, erwerben oder kontrollieren. Sie verzichten ferner auf die Stationierung, den Transport oder den Test von Nuklearwaffen und dürfen auch keinem anderen Staat vergleichbare Aktivitäten auf ihrem Territorium gestatten. Ein Kontrollsystem überwacht die Bestimmungen. Dazu gehören Vor-Ort-Inspektionen und ein umfassendes Berichtwesen. Auch die etablierten Kernwaffenstaaten sind in das System einbezogen. In einem Protokoll garantieren die (offiziell fünf) Kernwaffenstaaten, weder Atomwaffen gegen eine Vertragspartei einzusetzen noch mit deren Einsatz zu drohen. So oder so ähnlich könnte auch ein Vertragswerk für die koreanische Halbinsel aussehen. Nordkorea erhielte unter diesen Bedingungen die schon immer geforderte Nicht-Angriffs-Garantie. Die geteilte Halbinsel könnte zudem Freiraum für regionale Autonomisierung gewinnen, die zum Spin-off gegenwärtiger kernwaffenfreien Zonen gehört: Zum einen wurden die Möglichkeiten externer Akteure begrenzt, zum anderen haben die Verträge zur Stärkung und Herausbildung regionaler Zusammenarbeit beigetragen und multilaterale Brückenfunktion ausgeübt. Die Vertragsverhandlungen schufen somit die Plattformen für weitere Vertrauens- und Vertragsbildungen. So ebnete der Vertrag über eine kernwaffenfreie Zone in Südostasien Vietnam, Laos und Kambodscha den Weg in die Gemeinschaft der Asean-Staaten. Das heißt: Die Welt wäre sicherer, würden beide Koreas eine kernwaffenfreie Zone bilden. Japan könnte sich an dem Vertrag beteiligen und seine verfassungsrechtliche Sonderstellung untermauern. Die Rüstungskontrolle und damit die zivile Bearbeitung von Konflikten bekäme wieder eine Chance. Auch der Nicht-Verbreitungsvertrag, der derartige regionale Regelungen erlaubt, würde gestärkt. Der Lerneffekt für Nachbarregionen wäre groß.

Das aus dem Ost-West-Konflikt bekannte Sicherheitsdilemma wäre damit auch in Ostasien etabliert

Deutschland sollte daher aktiv an einer vertraglichen Denuklearisierung der Region mitwirken. Ein wichtiges Zeichen für die Akzeptanz derartiger Regelungen wäre es, wenn die europäischen Kernwaffenmächte endlich die kernwaffenfreie Zone in Südostasien anerkennen – zumal die dortigen Mitglieder bereit sind, den umstrittenen Geltungsbereich zu überdenken. Dies wäre kluge Politik, könnte es doch dem geteilten Korea eine Aussicht auf Frieden und Entwicklung eröffnen.

ROLF MÜTZENICH