Globalisierungskritiker treffen sich im Larzac

Der französische Bauernführer José Bové ist der Star bei einer Großveranstaltung vor der WTO-Tagung in Cancún

PARIS taz ■ „Andere Welten sind möglich“, lautet der Titel der dreitägigen Veranstaltung, die heute auf dem zentralfranzösischen Hochplateau Larzac beginnt. Trotz unerträglich hoher Temperaturen, Trockenheit und Waldbrandgefahr werden mehrere zehntausend TeilnehmerInnen erwartet, um die (ungerechten) Regeln des Welthandels zu erörtern, Rock- und andere Musik zu hören und über die im Herbst anstehenden sozialen Konflikte in Frankreich zu beraten. Hauptgast und Star der letzten Großveranstaltung der französischen Globalisierungskritiker vor dem nächsten Welthandelsgipfel im mexikanischen Cancún im September wird ein schnauzbärtiger Bauerngewerkschafter sein: José Bové, der vor einer Woche vorzeitig aus der Haft entlassen wurde

Bové, Führungsmitglied der Bauerngewerkschaft „Confédération Paysanne“, war als Wiederholungstäter beim Ausreißen von genmanipulierten Pflanzen zu zehn Monaten Haft verurteilt worden. Am 22. Juni kam er in der südlich gelegenen Stadt Montpellier ins Gefängnis. Seither rissen die Solidaritätskundgebungen nicht mehr ab. Der Slogan: „Libérez José Bové“ erklang bei den verschiedensten Demonstrationen – selbst bei einer Kundgebung von Unabhängigkeitskämpfern in der 20.000 Kilomter entfernten Insel Neukaledonien im Juli.

Vergangenen Freitag verfügte die Haftrichterin die vorzeitige Freilassung Bovés. Auflage: Er muss bis zum Ablauf seiner Haftzeit in einer globalisierungskritischen Vereinigung Teilzeitarbeit erledigen. Und er darf das nationale Territorium nur mit Erlaubnis verlassen. Sein Flugticket nach Cancún hat er dennoch bereits gekauft. Bové, dem die Haftrichterin bescheinigt, er sei ein „exemplarischer Häftling“ gewesen, rechnet fest mit der Erlaubnis für den Cancún-Trip.

Die vorzeitige Freilassung von Häftlingen, die Kurzzeitstrafen absitzen, ist in Frankreich kein ungewöhnlicher Vorgang. Dennoch ist Bové ein Ausnahmefall. Der Bauerngewerkschafter hatte während der fünf Jahre der rot-rosa-grünen Regierung eine wichtige politische Rolle als Sprecher eines links-alternativen Bauernmilieus, das sich von der vorher – und auch jetzt wieder – starken konservativen Bauernlobby der FNSEA radikal unterscheidet. Während des Welthandelstreffens von Seattle sorgte seine Bewegung als Rückenstärkung für die Position von Jospin und Chirac gegenüber den USA. Seit dem Regierungswechsel im vergangenen Jahr war es stiller um Bové geworden.

Das Comeback des Bauerngewerkschafters auf dem Larzac, wo er 1973 vom Philosophiestudenten zum Bauern wurde und wo er seither Milch zur Herstellung des Roquefort-Käses produziert, findet an diesem Wochenende statt. Das Treffen auf dem Larzac wird dafür sorgen, sein weltberühmtes Gesicht und seine globalisierungskritischen Thesen wieder auf die Medienbühne zurückzukatapultieren.

Zugleich feiert das Larzac-Treffen den 30. Geburtstag des Widerstandes der Bauern des Hochplateaus. Er begann Anfang der 70er-Jahre, als die französische Armee dort ein militärisches Testgelände eröffnen wollte. Erst Staatspräsident François Mitterrand stoppte nach seiner Wahl 1981 das Vorhaben.

Mit einer anderen tragischen Geschichte auf dem Hochplateau hingegen befasst sich das linke Treffen nicht. Während des Algerienkrieges befand sich in den Militäreinrichtungen des Larzac eines der berüchtigten Internierungslager für algerische Widerstandskämpfer. Nicht wenige von ihnen starben an Kälte und Hunger. In jenen düsteren 50er-Jahren jedoch gab es keinen Widerstand der Bauern. Das Kapitel ist bis heute tabu.

DOROTHEA HAHN