Weit und breit keine Kokosnuss

Der schottische, in Trinidad lebende Maler Peter Doig durchbricht in seinen Bildern das Klischee der paradiesischen Karibik-Idylle. Seine aktuellsten Arbeiten sind derzeit unter dem Titel „Métropolitain“ in der Kestnergesellschaft Hannover zu sehen

Vertraut schon, aber befremdlich auch: In Peter Doigs Bildern kann sich der Betrachter nicht verlieren, aber sehr wohl finden

von Kerstin Fritzsche

Palmen, klares Meereswasser, halb nackte Menschen mit Kokosnüssen in den Händen und unvergleichliche Sonnenuntergänge – so frisch aus der Fernsehwerbung entsprungen dürfte das westliche Bild von der Karibik als exotischem Paradies wohl immer noch aussehen.

„Die Tropen sind Klischee“, sagt Peter Doig angesichts solcher Bilder oder wenn jemand den Vergleich mit Gauguins eingefangener Exotik bemüht. Selbst einigen Freunden in London musste er erklären, dass er nicht den ganzen Tag am Strand liegt. Denn der 1959 in Schottland geborene Maler lebt seit 2002 in Port of Spain, der Hauptstadt von Trinidad. Schon als Kind verbrachte er hier einige Jahre. Doig, der vor zehn Jahren für den Turner-Preis nominiert war, beeindruckt anderes an der Karibik – zum Beispiel die Art, auf die die Einheimischen ihren schweren Alltag meistern. Faszinierend findet er auch, wie Transnationalismus in einer Region gelebt wird, in der fast 50 Prozent der Bevölkerung InderInnen sind und sich auch die kolonialen Spuren noch nicht verflüchtigt haben.

All dies zeigen Doigs Bilder. Zwar gibt es bei ihm auch einmal Palmen und einen Sonnenuntergang, aber auf den zweiten Blick entpuppt sich die vermeintliche Idylle immer als brüchig. Was auf dem Bild Pelican zunächst so aussieht wie ein Handtuch oder eine Tasche, die locker in der Hand einer Indigenen beim Strandspaziergang schwingt, ist eigentlich ein toter Pelikan, dem man den Todeskampf fast noch ansieht. Der Blick auf das nächtliche Lichtermeer von Monkey Island wiederum wird dem Betrachter durch einen grauen Schleier, den Black Curtain, so der Titel des Bildes, verübelt: Aus dem Ferienparadies, das eine gewisse Nachtaktivität verspricht, wird mit einem Mal ein tristes Inselgefängnis.

„Das sind Bilder wie Film Stills“, sagt Kuratorin Hilke Wagner über Doigs Arbeit. „Sie animieren den Betrachter, das Vorher und Nachher zu rekonstruieren.“ Das heißt: Genüsslichen Konsum gibt es hier nicht, Interpretation ist Arbeit. Von dieser Doppelbödigkeit waren Hilke Wagner und Veit Görner, Direktor der Kestnergesellschaft, sofort beeindruckt. Doch nicht nur sie: Auch die Pinakothek der Moderne in München war interessiert an dem „modernen Nomaden“, wie Peter Doig von seinen deutschen Kuratoren getauft wurde. Also einigte man sich darauf, die Ausstellung gemeinsam zu machen. Zusätzlich zu den 15 Bildern, die zuvor in München zu sehen waren, zeigt die Kestnergesellschaft in einer ersten umfassenden Ausstellung die gesamte Produktion von 2003 und 2004: Sie besteht aus 24 Ölgemälden, dazu Arbeiten auf Papier und Filmplakate, die Doig für seinen „studiofilmclub“ in Port of Spain gemalt hat. Die Farbe war noch frisch, da holte man die letzten Arbeiten aus Trinidad und erstellte in Rekordzeit den Katalog.

Malerei hat wieder Hochkonjunktur: Nachdem bei der letzten documenta beklagt wurde, dass die Malerei in der aktuellen Kunst unterrepräsentiert sei, und sich alles lieber auf den erlesenen Kreis der „Young British Artists“ stürzte, ist Peter Doig mit seiner gegenständlichen Malerei jetzt „the next big thing“. Er wird zusammen mit anderen gerade angesagten Vertretern der Malerei wie Luc Tuymans und Neo Rauch genannt, dabei hat er schon gemalt, bevor diese Welle aufkam.

Seine Motive findet Doig auf Postkarten, in Filmen und anderen popkulturellen Kontexten. So isoliert er einen indischen Guru von der Postkarte und setzt ihn in einen Dschungel. Und selbst der Ausstellungstitel „Métropolitain“ ist mehrdeutig: Er verweist einerseits auf das bekannte Pariser Métro-Schild und ist damit Symbol des aufkommenden Urbanismus des19. Jahrhunderts. Andererseits hat der Künstler diese Assoziation bewusst mit der vermeintlichen Unschuld der Südsee kontrastiert. Zudem verdankt Doig seine Inspiration Honoré Daumiers Werk L‘amateur d‘estampes, einer der eindrucksvollsten Großstadt-Momentaufnahmen. Denn auch das, was dem Betrachter nah ist, wie etwa die Stadt, kann im Inneren befremdlich wirken. In Doigs Bildern kann man sich zwar nicht verlieren, aber sehr wohl finden.

Di–So 10-19, Do bis 21 Uhr, Kestnergesellschaft Hannover; bis 12. 9. Katalog 20 Euro