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: HELMUT HÖGE über Eidechsen

Survival of the Fitnessclubs

Eidechsen – so hießen früher die Hardcore-Lesben in SO 36 liebevoll. Es gab ein autonomes taz-Autorenkollektiv „muz“ (menschenverachtend und zynisch) – das Vorspiel der KPD/RZ, das in seinen Kolumnen diese Eidechsen würdigte, die sich ihrerseits auf den Häuserwänden im Kiez äußerten: „Bildet Banden“, „Kastriert alle Vergewaltiger!“ usw.

Ihr Ruhm strahlte bis nach Hamburg, von wo eines Tages die Journalistin Edith Cohn anreiste, um über diese feministischen Terroristen eine das Blut in den Adern der Elbchausseer gefrieren lassende Insiderstory aus Original-Kreuzberg zu liefern. Leider konnte die taz-Berlin-Redaktion sie davon überzeugen, dass es sich bei den ganzen kastrationsbereiten Eidechsen bloß um einen weiteren Dreh am „Mythos Berlin“ (Der Spiegel) handelte.

Mit der Abwanderung der „Zeitgeist“-Schwaben und Rheinländer in die Ostbezirke geriet dann aber sowieso der „Problembezirk“ außer Konjunktur („Nur in SO 36 lebt man kreativ!“, meinte z. B. Claudia Skoda 1985 und 1995: „Nie wieder Kreuzberg!“). Man hörte dann auch nichts mehr von den Eidechsen. Die letzten wurden mit der Zerstreuung der Wagenburgen an den Stadtrand gedrängt, einige zogen mit ihren Wohnwagen „in Richtung Süden“ ab.

Jetzt kommt aber neue Kunde von ihnen – diesmal aus dem Berliner Schwabing Prenzlauer Berg. Wie die gewöhnlich gut unterrichteten Punker vor Kaiser’s und McDonald’s erklären, handelt es sich dabei um „Solarent-Frauen mit eidechsenfarbenen Tattoos, deren dauergebräunte Haut inzwischen verlederte“. Seltsamerweise gab es schon 1984 eine Zeitschrift für Eidechsen, herausgegeben vom „Bräunungsstudio Malaria“, zu dem der Eastbam-Manager Indulis Bilzens, der Westbam-Manager und -Vater William sowie das Gestaltungsduo Johannes Beck und Walter Baumann gehörten.

20 Jahre später lesen die Eidechsen, die auf die Bräunungsstudios in Prenzlauer Berg abonniert sind, vor allem Körperzeichen. Ihre Solarium-Szene arbeitet an einer eigenen Kultur, deren Speerspitze jene neuen Eidechsen sind. Ihr typisches Erscheinungsbild ist die Twentysomething mit Pferdeschwanz und Sporttasche, Jogginghose, Top, Stöpsel im Ohr und Handy am Hals.

In ihrer prominenten Form werden sie u. a. durch „TV-Star Jennifer Nitsch“ verkörpert, die neulich aus dem Fenster fiel und starb. Die Bild-Zeitung zitierte erst ihren Regisseur: „Der Fenstersprung war ein Hilfeschrei!“, und rekonstruierte diesen dann durch Jennifers letzte Stunden: „15 Uhr 30 – sie geht in ihr Schwabinger Fitnessstudio ‚lady sportiv‘; 17 Uhr 30 – sie ist zu Hause mit ihrer besten Freundin verabredet: ‚Wir haben auf dem Bett gelegen, ferngesehen, über Klamotten, Fingernägel, Haare und Partys gesprochen‘; 20 Uhr – die beiden machen sich für den Abend zurecht: ‚Wir haben ein paar Klamotten ausprobiert, ich habe für sie ein Kleid gebüdelt‘; 21 Uhr 40 – die beiden gehen ins ‚Kytaro‘, dort ist Jennifer Nitsch mit einem Photographen verabredet, es herrscht Partystimmung, der Ehemann von Model Guilia Siegel kommt dazu, es sind schließlich 20 Personen, sie essen griechische Spezialitäten; 2 Uhr 45, fröhlich fährt die Runde zum Club ‚Max Suite‘, dort, so sagen Zeugen, trank sie viel Wodka, auch Champagner; 5 Uhr – sie tanzt barfuß, verletzt sich am Fuß, Türsteher Arturo hilft ihr ins Taxi; 5 Uhr 30 – sie schläft ein, um 12 Uhr 30 telefoniert sie mit ihrer Mutter, der sie erzählt: ‚Wir hatten eine tolle Party, jetzt muss ich mich aber ausruhen‘; 13 Uhr 07 – sie stürzt aus dem Fenster des vierten Stocks …“

Die Bunte ergänzte dann: Sie litt unter „Beziehungslosigkeit“ und „Bulimie“. Und Bild ließ noch ihre Mutter zu Wort kommen: „Es war niemals Selbstmord“, meinte sie, mit anderen Worten: Die Fitnessclubs sind wahrhaft mörderisch! War Edith Cohn etwa auf der richtigen Spur, als sie in der Frauensauna am Heinrichplatz mit ihrer Recherche begann?