JENNI ZYLKA über PEST & CHOLERA
: Schnell, schnell, die Fingerhüte warten

Metall suchen und S-Bahnen besprühen – womit die Leute nur ihre Freizeit verbringen! Ich habe da Besseres zu tun

Wie könnte ich je müde werden, mich über merkwürdige Freizeitgestaltungen zu wundern! Die neueste in meiner Sammlung ist das Metallsuchen in Böden. Zwei Berliner haben mich vor ein paar Tagen damit überrascht. Sie gehören zu einer recht großen Gruppe vornehmlich männlicher Sucher, die, mit Metalldetektoren ausgestattet, am Wochenende auf Händen und Knien durch die Wälder und über die Felder der Republik kreuchen. Und wann immer der Detektor bei einer Sprite-Dose von 1979 fiept, hoffen sie auf die Scheibe von Bebra. Meistens finden sie allerdings eher alte 5-Pfennig-Stücke. Jedoch: Man könne schließlich „auch mal ’n alten Toten finden“, hatte der eine Metallsucher dazu erklärt, mit einer Erkennungsmarke um die Schlüsselbeinknochen, und dann freue sich die Familie, weil man der endlich mitteilen könne, wo Opi denn nun gefallen sei. Mit den Förstern stehe man auf gutem Fuße, erfuhr ich weiter, denn die fänden es prima, dass mal jemand im Wald herumgeistert, der nicht zu einer militanten Tierschützergruppe gehört.

Warum nicht, kann ich da nur sagen. Wenn ich mich recht erinnere, ist es nur gut für den Mischwaldboden, wenn er ab und an kräftig durchgesiebt wird. Apropos Boden: Für mich persönlich gehört ja das beliebte Bodenabschleifen ebenfalls zu den absonderlichen Freizeitbeschäftigungen. Wenn ich je noch mal das Hungertuch zu nagen kriege, setze ich sofort eine Annonce in die Zeitung: Exjournalistin schleift Böden ab. So wird man garantiert in ein paar Wochenenden Millionärin. Dabei kann ich gar nicht verstehen, wieso harte, knarrende Holzdielen in Beigebraun besser für die Gemütlichkeit und die Füße sein sollen als ein todschicker, weicher Teppich in Orange! Manchmal glaube ich, dass das ewige Renovieren ohnehin nur von den wahren Knackpunkten im Leben ablenken soll. Wahrscheinlich brauchte nicht der Boden einen neuen Schliff, sondern in Wirklichkeit nervt, dass immer die gleiche Frau ihre Tarotkarten drauflegt oder was Menschen mit Parkettböden so darauf machen. Schlimm ist jedenfalls, dass die FernsehformatentwicklerInnen sich diesen Schuh gleich angezogen haben und seit einiger Zeit eine Renoviersendung nach der anderen herausschießen, bei denen alle Zimmer (bis auf die für Kinder) nach der Renovierung durch eine plappernde Moderatorin und ein paar Profischreiner konsequent aussehen wie Fake-70er-Jahre-Studios aus Möbelkaufhäuserprospekten. Aber wahrscheinlich ist das purer Neid: Mit der Hilfe von Profischreinern und ihren Hiltis könnte ich mir lässig ebenfalls so ein Fake-70er-Studio zusammensägen. Das Problem ist ja immer die Durchführung, nie die Idee.

Das Ganze ist selbstverständlich Geschmacksache. Genau wie die dritte, meiner Ansicht nach sehr absonderliche Freizeitbeschäftigung: illegale Flächen mit Graffiti besprühen. Das würde ich so gerne verstehen und gut finden, denn ich freue mich, wenn junge Menschen kreativ sind. Jedoch habe ich noch nie etwas gesehen, was durch Graffiti schöner wurde. Die Gebäude oder Brücken oder U-Bahn-Waggons werden höchstens nicht noch hässlicher, und dazu müssen die Sprayer sich sinnlos mit den Bullen herumschlagen, die die ÖPNV-Wagen beschützen sollen, und schlafen schlecht, weil sie an das Ozonloch denken.

Trotzdem würde ich natürlich bei jeder Volksabstimmung für Graffiti stimmen. Man kann den Menschen ihre Freizeitbeschäftigungen schließlich nicht oktroyieren, obwohl das beim Grillen und aktuell beim Unnützes-Zeug- bei-eBay-Kaufen/-Verkaufen ganz gut geklappt hat: Plötzlich scheint jeder zu denken, die Sommersamstage müsse man mit Rostbratwürstchenessen verbringen, und am Sonntag hockt man kollektiv am Computer und verkauft Duschvorhänge mit „Space Age Panton Muster“ nach Fisselhövede. Porto zahlt der Käufer.

Huch, die Zeit rennt. Jetzt muss ich schnell aufhören, es warten noch 24 Jahrgänge Peter Moosleitners interessantes Magazin auf mich, die es zu sortieren gilt. Und danach katalogisiere ich endlich meine Fingerhutsammlung.

Fragen zur Freizeit? kolumne@taz.de MORGEN: Peter Ahrens PROVINZ