Beifall für den Richterspruch

aus Denpasar und KutaSVEN HANSEN

Die Zuschauer klatschen und jubeln, als der Vorsitzende Richter I Made Karna nach sechseinhalbstündiger Urteilsbegründung das Strafmaß verkündet: „Der Angeklagte Amrozi bin Nurhasyim wird zum Tode verurteilt.“ Australische Überlebende und Angehörige von Opfern umarmen sich. Amrozi selbst reckt zum Trotz die Faust. Und als der 40-jährige Islamist mit dem Ziegenbart von Polizisten aus dem Saal geführt wird, hebt er noch einmal triumphierend die Daumen und zeigt erneut eine seiner Gesten, die viele als Verhöhnung empfinden. Flüche begleiten ihn, es gibt aber auch erneut Beifall für die Todesstrafe. Eine Australierin weint.

Die fünf Richter im Landgericht von Denpasar auf Bali haben Amrozi als ersten Angeklagten für schuldig befunden, die Terroranschläge in Bali vorsätzlich geplant, vorbereitet und durchgeführt sowie andere zur Teilnahme daran ermuntert zu haben. Abwechselnd lasen sie in der Urteilsbegründung die Zusammenfassungen zahlreicher Aussagen von Zeugen vor. Von Toten war die Rede, von abgetrennten Gliedmaßen, Traumata, Sprengstoffmischungen, konspirativen Wohnungen, DNA-Analysen, Autokennzeichen und Seriennummern. Auch andere Angeklagte hatten Amrozi belastet. Keiner bestritt die eigene Tatbeteiligung, einige versuchten aber, ihre eigene Rolle bei den Anschlägen herunterzuspielen.

Auch Amrozis fünf Verteidiger verfolgten diese Strategie. „Wir glauben nicht, dass unser Mandant unschuldig ist. Aber er hat nicht die Fähigkeit, einer der führenden Köpfe hinter diesen Anschlägen zu sein. Dafür braucht es eine ausgereifte Intelligenz, die er nicht hat“, sagte Chefverteidiger Wirawan Adnan nach dem Urteil und kündigte Berufung an, obwohl das nicht Amrozis Wunsch sei. „Er möchte die Geschichte möglichst schnell hinter sich bringen. Wir Anwälte sind jedoch der Meinung, dass er die Todesstrafe nicht verdient. Da Amrozi uns nicht entlässt, kämpfen wir weiter.“

Die Verteidiger monierten zudem, dass die erst nach den Anschlägen eiligst verabschiedeten Terrorgesetze rückwirkend gegen ihren Mandanten angewendet wurden. Die Richter waren sich dieser Problematik bewusst. Sie begründeten jedoch, die Verfassung ermögliche dies bei besonders schweren Verbrechen, auch wenn darüber noch das Oberste Gericht endgültig befinden müsse.

Das letzte Wort über die Vollstreckung der Todesstrafe hat aber die Präsidentin Megawati Sukarnoputri. Sie ist die einzige, die in Indonesien zum Tode Verurteilte begnadigen kann. Dieses Strafmaß wird in dem Inselstaat allerdings selten verhängt und noch seltener vollstreckt. Laut amnesty international sind zuletzt im Mai 2001 zwei Männer wegen Mordes hingerichtet worden. Davor seien sechs Jahre lang keine Todesurteile vollstreckt worden.

Amrozi selbst schien in dem dreimonatigen Prozess gar keine Strategie zu haben. So gab er zunächst zu, eine Tonne Sprengstoff und das Fahrzeug für die Autobombe vor dem Sari-Club besorgt und nach Bali gefahren zu haben. Später dementierte er einen Teil der Aussage wieder, rechtfertigte aber die Anschläge. Sie hätten „positive Aspekte“, weil sie Muslime wieder näher an den Glauben führten. Zugleich sei es in „sündigen Orten“ wie Nachtclubs deutlich ruhiger geworden. Diese seien Teil eines jüdisch-amerikanischen Plans, um die Religion zu zerstören.

Dieses militant-islamistische Auftreten reichte sogar bis zur Verhöhnung seines jüngeren Bruders Ali Imron. Der tritt als einziger der drei angeklagten Brüder nicht mit muslimischer Kappe und langem Hemd vor Gericht, sondern in einem westlichen Anzug. Als Amrozi ihn identifizieren sollte, gab er zunächst vor, ihn wegen der Kleidung nicht zu erkennen. Er habe ihn für einen der Anwälte gehalten, sagte er lächelnd.

Seine fünf jungen Verteidiger outeten sich gestern selbst als Islamisten. Amrozi betrat gestern den Gerichtssaal mit gereckter Faust und „Allahu Akbar“-Rufen. Die Anwälte stimmten mit ein. Im Saal, der sonst Hochzeitsfeiern dient, wirken solche Gesten angesichts des hinduistischen Raumschmucks und überall platzierter Opfergaben wie ein innerindonesischer Kulturkampf. Unter dem stoischen Blick einer in Stein gehauenen hinduistischen Gottheit betonten die fünf Richter – drei Hindus, ein Muslim und ein Christ – in ihrer Urteilsbegründung denn auch, keine Religion rechtfertige eine solche Tat. Im größten muslimischen Land der Welt, das in den vergangenen Jahren von schweren Unruhen erschüttert wurde, war das hinduistische Bali bis zum 12. Oktober 2002 eine Oase des Friedens gewesen. Die Balinesen sind selbst sehr spirituell und reagieren auf Amrozis religiösen Eifer, der die Multireligiösität des Landes in Frage stellt, mit Abscheu.

„Ich kenne keine Person in Bali, die Sympathien für Amrozi hat“, sagte die Journalistin Ni Luh Dian aus Denpasar. Viele würden ihn am liebsten selbst töten. Zugleich seien die Balinesen aber „stolz auf die schnellen und erfolgreichen Ermittlungen“.

Der Anwalt I Wayan Sudirta macht dafür auch den internationalen Druck verantwortlich. Der Vizevorsitzende der indonesischen Anwaltsvereinigung und Rechtsberater der Organisation Corruption Watch geht davon aus, dass Amrozis Todesurteil in zwei Jahren vollstreckt wird. „Normalerweise dauert es mindestens fünf, aber in diesem Fall wird es auf jeden Fall schneller gehen,“ sagte Sudirta am Rande des Prozesses. Die Balinesen hätten die Todesstrafe, die er entschieden ablehnt, gewollt. „Ich glaube, sie sind mit dem Prozess zufrieden.“

Im 15 Kilometer entfernten Kuta, wo die Bomben vor zehn Monaten explodierten, wachsen inzwischen Bananen auf dem Grundstück der damals zerstörten „Paddy’s Bar“. „Sie sollen den Boden spirituell reinigen“, erklärte der Besitzer, als er Anfang der Woche die zerstörte Kneipe hundert Meter weiter neu eröffnete. Am Zaun des Grundstücks, wo einmal der Sari-Club stand, hängen ein paar Blumenkränze und Fotos von Getöteten. Neben einer australischen Fahne hängt ein T-Shirt mit der Aufschrift „Fuck Terrorists. Bali Black October 12“. Das gibt es hier überall zu kaufen.

„Ich fühle mich nach dem heutigen Tag erleichtert“, sagte Natali Juniarti. Die Australierin, die einen Laden in der Nähe des Sari-Club betrieb, verlor bei den Anschlägen ihren indonesischen Mann. „Jedes Mal, wenn ich Amrozi im Fernsehen sah, hat es mich aufgeregt. Ich bin froh, dass er jetzt zum Tode verurteilt ist. Wenn meine Kinder groß sind, kann ich ihnen sagen, dass auch der Mörder ihres Vaters tot ist.“