Der Hüftspeck-Bop

Bier, Rauch und Haarspray: Die Stray Cats luden Berlins Rockabillies zum Klassentreffen in der Columbiahalle

Rechtschaffen schick gemacht haben sie sich, die Berliner Cats ’n’ Chicks, die Rockabilly-FreundInnen aus Spandau und Tempelhof. Die Tollen festgesprayt, die Tattoos eingeölt und die Angeberkarren herausgeholt, damit die Flughafenstraße endlich mal hübsch aussieht. Und damit Brian Setzer, Lee Rocker und Slim Jim Phantom nicht denken, in Berlin sei es vorbei mit dem guten Geschmack.

Über zwanzig Jahre nach der ersten Platte schaffen es die Stray Cats beim deutschen Tourauftakt, die Columbiahalle fast zu füllen. Weil sie es nicht ganz schaffen, nehmen die Veranstalter kurz vor Konzertbeginn nur noch spöttische 30 Euro, anstatt der vorher verlangten 45 Euro – Rockabilly ist im Laufe der Zeit nicht billiger geworden.

Drinnen riecht es außer nach Bier, Rauch und Schweiß auch noch nach Haarspray und Brisk. Zwischen jungen, tätowierten Ponyträgerinnen und Jungs mit Bicolor-Flattop und Lederjacke wippen ein paar originale Fans, die vielleicht sogar noch Eddie Cochran und Gene Vincent persönlich gesehen haben, und nicht erst die postmoderne 80er-Variante. Die Stray Cats fangen vorsichtshalber gleich mit „Rumble in Brighton“ an, eine todsichere Nummer, und von weitem scheint alles beim Alten zu sein, nur dass Brian Setzer jetzt aussieht wie eine alte, tätowierte Frau, die an komischen Stellen Hüftspeck angesetzt hat.

Der Sound der 80er, der die 50er kopiert: Mit geschlossenen Augen fühlt man sich zwanzig Jahre jünger, manche sogar 50 Jahre. Songs, die Hits waren, von der ersten, besten Platte spielen die britisierten Amerikaner, inklusive „Runaway Boys“ und, erstaunlich früh, den „Stray Cat Strut“ – im Hintergrund leuchten kitschige Sterne über einer Fake-Mauer-Deko. Dann müssen sie pausieren und schieben ein paar maue Country-Rockabilly-Nummern ein, was überhaupt nichts macht, denn man braucht die Zeit, um alte Freunde zu begrüßen. „Hab dich ja seit einer Million Jahren nicht gesehen“, sagt ein ehemaliger DJ zu seinem Kumpel und übertreibt wahrscheinlich nicht. Ein Kollege erzählt von seiner Vergangenheit als Möchtegernmitglied der „Spandau Skulls“ und zeigt auf ein paar faltige Tollenträger mit Brillen und Creepers. Der Saal boppt gemütlich, die Stray Cats spielen „Rock This Town“ und „18 Miles to Memphis“, und der Merchandiser verkauft Stray-Cats-Haarwachs für 15 Euro. Ein Revival ist das nicht. Eher ein Klassentreffen. Denn für die meisten der Fans hat sich ohnehin nichts geändert. JENNI ZYLKA