gefahren des gummitwists von JOACHIM SCHULZ
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Früher war Gummitwist für die Mädchen in der großen Pause das, was für uns Jungs das Fußballspielen gewesen ist.

Während wir zerbeulte Brausedosen über den Schulhofasphalt trieben, hopsten die Mädchen zwischen den gespannten Bändern eines Gummizuges hin und her und sagten dazu merkwürdige Abzählreime auf. Auf welche Weise dieses Spiel funktionierte, blieb uns schleierhaft. Zum Teil wurden die Bänder durch das Gehüpfe zu den seltsamsten Schnürengeweben verknotet, zum Teil auch wurden die Gummizüge in Höhen gespannt, die unsere notorisch sportfeindlichen Klassenkameradinnen beim Hochsprung niemals überwunden hätten. Beim Gummitwist aber meisterten sie jede Herausforderung, und niemals hat sich eine von ihnen dabei den großen Onkel verrenkt oder die Nase blutig gestoßen. Trotzdem aber war das Gummitwist eine höchst gefährliche Angelegenheit, und das werde ich Ihnen sogleich beweisen.

Wir brausen dazu zurück in die frühen Siebzigerjahre und steuern die Stadt Barcelona an, wo das Gummitwistgehopse zu dieser Zeit noch völlig unbekannt ist. Soeben aber wird es eingeführt, und zwar von einem jungen spanischen Mädchen, das in Deutschland aufwächst, die Sommerferien bei Onkel und Tante in Kataloniens Metropole verbringt und später einmal meine Liebste werden wird. In dieser Periode ihres Daseins aber hat die junge Señorita noch keine Jungs, sondern ausschließlich Gummitwistkunststücke im Kopf, und auch ihre Cousine Pilar ist von dem fremdländischen Amüsement sehr schnell begeistert. Indessen haben Pilar und ihre Cousine aus Deutschland abseits des Ferienvergnügens auch eine Aufgabe zu erledigen, da Tante Teresa im Fischgeschäft ihres Gatten bis in den Nachmittag die Buchhaltung zu erledigen pflegt. Die Aufgabe besteht darin, Juanito, den drolligen Kanarienvogel der Familie, morgens zu füttern, sodann seinen Käfig auf den Balkon hinauszustellen und schließlich den Käfig mittags, bevor die Mittelmeersonne ums Haus herumzieht und Juanito aufs empfindliche Köpfchen brutzeln kann, wieder in die kühle Küche hineinzuholen.

Ich schätze, Sie ahnen bereits, was passieren wird, und leider – Sie haben Recht: Gefangen genommen von den Gummitwistkapriolen, vergessen die jungen Damen eines Tages den armen Juanito, und als er ihnen schließlich wieder einfällt und sie nach Hause eilen, hat der Piepmatz bereits einen schweren hitzebedingten Knacks wegbekommen, was sich auch dadurch nicht mehr ändern lässt, dass er flugs aus der Sonne geholt und dem kühlenden Luftzug eines Ventilators ausgesetzt wird.

Als Tante Teresa aus dem Fischgeschäft zurückkehrt, sitzt er noch immer wie eine sturzbetrunkene und tonlos piepsende Wachtel auf seiner Stange, und das sollte auch die restlichen Jahre, die er noch zu leben hatte, so bleiben. „Wir haben der Tante niemals gebeichtet, dass wir für Juanitos Knacks verantwortlich waren – das schlechte Gewissen jedoch plagt mich bis heute“, murmelte die Liebste, als sie mir neulich diese Geschichte erzählte, und deshalb, sage ich, ist es nur gut, dass eine so hochgefährliche Belustigung wie das Gummitwistspiel inzwischen halbwegs vergessen ist.