speichenbruch
: „Schwierigste Nominierung“

Die Querelen um den deutschen Bahnradvierer nehmen kein Ende. Am Montag nun muss das NOK entscheiden, wer bei Olympia fahren darf

Es war während des vormittäglichen Trainings, als das Handy bimmelte. Jens Lehmanns Frau meldete sich am anderen Ende der Funkwellen, und was sie ihrem auf dem Rad keuchenden Mann mitzuteilen hatte, war keine frohe Botschaft. „Sie haben die Liste bekannt gegeben. Du bist nicht dabei“, ließ Gaby Lehmann ihren Jens wissen – und im Prinzip war damit alles gesagt.

Keine zehn Minuten zuvor hatte der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) jene Sportlernamen öffentlich gemacht, die der Verband nächsten Montag dem Nationalen Olympischen Komitee für die olympischen Bahnradwettbewerbe vorschlagen möchte. Es sind dies: Robert Bartko, Daniel Becke, Robert Bengsch, Guido Fulst, Christian Lademann, Leif Lampater sowie Sven Teutenberg. Der Name Jens Lehmann aber stand nirgendwo geschrieben. Für Athen ist der zweifache Olympiasieger sowie sechsfache Weltmeister nicht vorgesehen.

Man kann nicht sagen, dass der 36-jährige Leipziger von der Entscheidung überrascht wurde. Im Prinzip hatte sich seine Ausbootung seit fast einem Jahr schon angekündigt. Damals, bei der Bahnrad-WM in Stuttgart, wehrten sich die Thüringer Bahnradsportler Jens Lehmann, Daniel Becke, Sebastian Siedler sowie Christian Bach gegen die vom BDR willkürlich anvisierte Vierer-Nachnominierung von Robert Bartko und Guido Fulst, beide wie Lehmann und Becke Mitglieder des Goldteams von Sydney. Es kam zum Eklat, in dessen Folge der umstrittene BDR-Sportdirektor Burckhard Bremer den deutschen Vierer, immerhin Titelverteidiger sowie aktueller Olympiasieger, eilfertig absagte. Vor allem Lehmann und Becke wurden hernach als Drahtzieher des vermeintlichen Aufstands dargestellt – und vom Verband zunächst für zwei Jahre suspendiert. Zwar setzte der BDR die Sperre im Januar aus, um sich, wie BDR-Präsidentin Sylvia Schenk formulierte, endlich wieder „auf sportliche Erfolge konzentrieren zu können“. De facto aber behielten Lehmann und Becke ihren Status als Verbannte, selbst nachdem sie bei der Olympiasichtung Mitte Februar in Frankfurt (Oder) als Erst- (Becke) bzw. Drittplatzierte (Lehmann) ihre Klasse unter Beweis gestellt hatten. Jedenfalls tat der BDR alles, um Becke, der beim Straßenradteam Illes Baleares beschäftigt ist, die Teilnahme an Weltcups und WM unmöglich zu machen; Lehmann wurde erst gar nicht nominiert. Damit wurden beide auch der Möglichkeit beraubt, die BDR-Qualifikationskriterien für Olympia zu erfüllen. Zuvor, so die BDR-Argumentation, müssten sie erst einmal ihre „Teamfähigkeit“ unter Beweis stellen; eine ziemlich dümmliche Forderung an zwei Vierer-Olympiasieger. Zumal die Mediation, bei der dies geschehen sollte, vom Verband so lange wie möglich hinausgezögert wurde.

Dass Becke, der derzeit die Tour de France fährt, nun für Olympia vorgesehen ist, dürfte der Einsicht geschuldet sein, dass der Erfurter der derzeit stärkste deutsche Bahnradfahrer ist – und sein Olympiastart schon deshalb unvermeidlich. Schließlich hatte das NOK den BDR schon Ende Juni dazu aufgefordert, endlich zur Besinnung zu kommen – und seine Nominierungsliste zu überarbeiten. NOK-Präsident Klaus Steinbach damals gegenüber der ARD: „Ich würde mir wünschen, dass die besten Bahnradfahrer diesen Vierer stellen. Ich hoffe, dass sich Vernunft und der Wille zum Erfolg durchsetzen.“

Davon allerdings kann bislang noch nicht die Rede sein. Denn zum einen wird Jens Lehmann („Vom BDR etwas anderes zu erwarten, wäre blauäugig gewesen“) nach wie vor gänzlich übergangen, zum anderen ist mit der Nominierung Beckes keineswegs gesagt, dass er am Ende auch tatsächlich bei Olympia im Vierer fährt. Denn wie weit es mit dem von Steinbach angemahnten Willen zum Erfolg her ist, macht eine Äußerung von Bremer-Günstling Robert Bartko deutlich, der gestern via Verbands-Hauspostille FAZ bekannt geben ließ, er werde in Athen keinesfalls mit den Stuttgarter Rebellen fahren, sondern wie bei der WM in Melbourne mit Guido Fulst sowie den Nachwuchskräften Robert Bengsch und Leif Lampater, koste es, was es wolle, notfalls den Olympiasieg. Bartko: „Wir werden sicher nicht um Gold kämpfen, aber wir haben eine gute Chance, dass wir um Bronze fahren können.“ Bei der WM fuhr diese Besetzung in der Qualifikation lediglich die fünftbeste Zeit. Damit nicht genug, um seine eigene Teamfähigkeit eindrucksvoll unter Beweis zu stellen, sprach sich der Potsdamer Olympiasieger gleich auch noch gegen Becke als zweiten Starter im Einzelrennen aus.

Nächsten Montag berät das NOK auf seiner letzten Nominierungssitzung über die Olympialiste des BDR. „Ich warte ab, was das NOK entscheidet“, sagt Jens Lehmann. NOK-Präsident Steinbach sagt: „Den Vierer zu nominieren ist die schwierigste aller Nominierungen.“

FRANK KETTERER