Neue Kinder kommen nicht mehr

Wie die AWO-Kita Brunnenhof in St. Pauli ins Gutschein-System startet: Eine Erzieherin muss gehen. Statt 55 gibt es nur noch 36 Kinder

Sommerbetrieb in der Kita-Brunnenhof auf St. Pauli. Unten ist nur eine Gruppe besetzt. Kinder schneiden „Papripka“, wie ein Mädchen sagt, und Tomaten für eine Pizza. Oben bei den Schulkindern spielt ein Erzieher mit einer Jungs-Schar begeistert Carrera-Bahn. Mit dabei ein Kind, das zu Gast ist, weil es keinen Gutschein hat. Die Mutter hat ein Baby bekommen und ist in Erziehungszeit, deshalb darf er nicht – wie andere Hortkinder – übers nächste Schuljahr bleiben.

„Wir versuchen, den Gutschein zu bekommen. Für den Jungen wärs wichtig“, berichtet Nicola Rauschning, die diese Kita der Arbeiterwohlfahrt leitet. Nicht nur, dass er ohnehin Stress hat, weil er sitzen blieb. Die Mutter ist zudem sehr belastet, weil ihr Säugling einen Herzschrittmacher hat. Ein Fall für „Priorität eins“, den „dringenden sozialen und pädagogischen Bedarf“, der unabhängig von der Ebbe im Budget bewilligt werden müsste.

Die Tatsache, dass es diese „Priorität eins“ gibt, führen Senatsvertreter immer wieder ins Feld, wenn es um die sozialen Folgeschäden des Kita-Gutscheinsystems geht. Doch bislang wurden in dieser Priorität hamburgweit nur rund 2.200 Scheine gewährt.

Die Frage ist, was „dringend“ ist und wie dieser Bedarf bewilligt wird. Davon hängt die Zukunft fast aller Kitas in sozialen Brennpunkten ab. Wie berichtet, musste die Nachbar-Kita „Kinderland“ zwei Frauen entlassen. Auch am Brunnenhof sind statt bisher 200 nur noch 116 Erzieherstunden finanziert. Denn statt 55 gibt nur noch 36 Kinder. Eine Erzieherin muss gehen, andere ihre Stunden reduzieren. Weitere Einschnitte drohen im Januar, wenn von den verbliebenen Kindern zehn auf vier Stunden herabgestuft werden, weil ihre Mütter nur „arbeitssuchend“ sind. „Für fünf dieser Kinder wäre das richtig schlecht“, sagt Rauschning. „Die leben in schwierigen Verhältnissen.“

Rauschning spricht von Kindern, die früher wegen „Integrationsbedarf“ problemlos einen Platz bekamen. Kinder, die weder ihre Muttersprache noch Deutsch richtig sprechen, die keinen festen Tagesablauf und keinegesunden Mahlzeiten kennen, Sommer wie Winter knapp bekleidet sind und, obwohl sie ganz nah dran wohnen, noch nie mit ihren Eltern an der Elbe waren, wenn sie mit vier oder fünf Jahren in die Kita kommen.

Für ihre Roma-Kinder in St. Pauli werde schon gesorgt, hatte vorab ein Behördenvertreter Rauschning versichert. „Da wusste ich aber noch nicht, dass ich für jeden einzelnen Fall einen Bericht mit Begründung schreiben muss.“

Und hier liegt die Schwierigkeit. Für Mütter ist es schwer, zu einem Amt zu gehen und sich zu ‚outen‘, zu erklären, dass sie in der Erziehung ihrer Kinder versagen. „Bislang schlichen die hier so um die Ecke und fragten ‚Haste Platz?‘“, erinnert sich Rauschning. Wenn Platz war, konnte dies mit der Sachbearbeiterin im Bezirk, die das Viertel kennt, geregelt werden. Heute müssen sie zum Amt, dort drei Stunden warten und Formulare ausfüllen und stehen völlig überlasteten Mitarbeiterinnen gegenüber.

Dennoch, einer Roma-Frau, die zwei behinderte Kinder hat, ist es gelungen, für ihre zwei gesunden Kinder unter „Priorität eins“ zwei Gutscheine zu bekommen. Vielleicht, so hofft Rauschning, spielt es sich ja noch ein, und die Sachbearbeiter bekommen den Spielraum, „Priorität eins“ großzügig zu bewilligen.

So aber fehlen neue Kinder, um die Fluktuation aufzufangen. Nur drei neue Gutscheine hat die Kita bekommen, darunter einen einzigen für die neue Krippe. Bisher üblich waren immer zehn Anmeldungen im August – und kleckerweise einige hinterher. Einen Bedarf, so Rauschning, sähen viele Familien eben erst im Herbst, wenn es draußen kalt und in den Wohnungen richtig eng wird. KAIJA KUTTER