Markier mich, Baby!

Freizeitwerte in der großen Stadt (Teil 6): Wer Gotcha spielt, muss mit Vorurteilen leben – Militäreinsätze für den Frieden okay, Kriegsspiele nicht. Ein Nachmittag im Schützengraben

von ANDREAS BECKER

Ratatatata: Noch während man eine steile DDR-Betonplattenpiste hochradelt, hört man Schüsse und unverständliche Kommandos hinter den Bäumen. Die Adresse stimmt also. Leute in einer Art bunter Eishockeymontur hantieren an lärmenden Kompressoren herum, und auf Campingtischen liegen Plastikgewehre mit großen durchsichtigen Aufsätzen und bunten Kügelchen drin – halb automatische Kaugummispender?

Das Spielgelände ist mit fliegendrahtartigen Planen abgesichert. Zwischen den Autos und der Plane stehen hübsche Spielerfrauen, die mit ihren Körpern den Lack der Wagen schützen und keine Lust verspüren, ihre Frisuren mit einer Maske zu vermasseln. Die muss man aufsetzen, will man dem Geschehen näher kommen. Die großen Jungs, die hier mit ihren „Markierern“ – so nennt man die Hochdruckgewehre – hantieren, spielen Paintball, auch Gotcha genannt. Eine nicht ganz unumstrittene Sportart: Paintball sei wie Kriegspielen, meinen manche. Die Anlage befindet sich sinnigerweise über einer bewachsenen alten Atombunkeranlage in Garzau, östlich von Straußberg.

In einer Ecke des Geländes hat Janek Standke ein kleines Büdchen aufgebaut, wo der Zuschauer Paintball-Equipment leihen kann. Standke betreibt in Friedrichshain Outdoor Sports, den einzigen Berliner Laden für solche Gerätschaften. „Es gibt viele Missverständnisse. Wenn die Medien etwas berichten, dann immer in der Richtung: Privatrambos ballern wild im Wald rum.“ Das macht es für die Paintball-Freaks nicht einfacher, gibt dem Spiel aber auch einen hübsch subversiven Touch.

In anderen Länder ist Paintball akzeptiert. Beliebt bei Gotcha spielenden US-Managern sind in Europa nicht erhältliche Farbtellerminen und Farbhandgranaten. Gern würde man in Berlin eine Gotcha-Halle betreiben – es ist aber keine Genehmigung zu bekommen.

Auch wenn es kein ausgesprochenes Verbot gibt: Im Pädagogenland Deutschland, wo Kinder nicht Cowboy und Indianer spielen sollen und Videospiele als Motiv für reale Gewalt herhalten müssen, hat man Spiele zu spielen, die pazifistisch wirken. Prügeleien beim Eishockey, üble Fouls beim Fußball, Bundeswehreinsätze für den Frieden: alles okay. Aber mit bunten Kügelchen rumknallen, das geht nicht durch. Dabei sind die Spieler in Garzau so gut mit Brillen, Kopf- und Sackschutz ausgerüstet, dass ihnen nichts passieren kann.

Der Spielplatz, wo jeweils sieben gegen sieben antreten – manchmal hat man auch zu wenig Leute und spielt drei gegen drei – ist mit bunten, mit Luft aufgeblasenen Elementen vollgestellt, hinter denen sich die Spieler verschanzen, um sich dann vorzukämpfen. Die Teile werden im Spielerjargon Möhre, Döner oder Tasse genannt. „Tasse rechts ist frei!“, brüllt man dem Verbündeten zu, wenn einem von dort kein Feuer mehr droht.

Heute hat man sich auf zehn Minuten Spielzeit geeinigt. In dieser Zeit versucht man möglichst viele gegnerische Spieler mit einem Farbkügelchen zu „markieren“.

Die Kugeln in Pink, Grellgrün, Gelb oder Blau zerplatzen beim Aufprall. Wenn ein Spieler sich getroffen fühlt, muss er einen Marshall genannten Schiedsrichter herbeirufen. Oft kommen die diversen Marshalls auch selbst herbeigerannt und checken die Klamotten. Stellen sie einen Farbfleck fest, ist der Spieler draußen. Die anderen ballern so lange weiter, bis einer es schafft, eine Fahne von der Gegenseite zu schnappen und diese hinters eigene Feld zu legen. Wenn er nicht getroffen wird, ist seine Mannschaft Sieger.

Die Marshalls haben den härtesten Job. Sie robben sich durchs Dauerfeuer und sehen schon nach wenigen Spielen schön bunt aus. Siggi aus der Kreuzberger Oranienstraße ist einer der Marshalls, für den Marshall-Job kriegen er und seine Kumpel vom Defcon-Team 50 Euro vom Turnierveranstalter. Gerade war die freakige Truppe zusammen bei einem Paintball-Turnier in Paris, mit tausenden Zuschauern. Die Defcons sehen Paintball vor allem als abgefahrenen Spaß. Keiner der Typen auf und neben dem Spielfeld sieht (bis auf die martialische Ausrüstung) gefährlich aus oder wirkt wie ein Fascho. Beim Spiel selbst gibt es denn auch keine direkten Körperberührungen; alles, was irgendwie zu aggressiv wirken könnte, ist durch die ellenlangen Spielregeln verboten.

Ein wenig suspekt sind allein die unvermittelt aus dem Wald auftauchenden Paintballer in Camouflageanzügen, die nichts mit dem Turnier zu tun haben und hinter uns auf einer Anlage mit aus alten Rohren und Fässern gebauten Verstecken trainieren. Bevor die Hot Guns Straußberg erneut gegen die White Dogs antreten schreien sie drei Mal: „Wir sind böse!“ Toll wäre es, am nächsten 1. Mai ein Paintball-Turnier mitten in der Stadt auszutragen, auf dem Mariannenplatz vielleicht. Und alle schreien „Wir sind böse!“ und verschanzen sich hinter Tassen und Dönern.