Ein Symbol für die Stabilität

Einen Prestigeerfolg verschafft der Europäische Gerichtshof der EU-Kommission im Ringen um den Währungspakt von Maastricht. Das Defizitverfahren gegen Deutschland und Frankreich ist zwar blockiert, aber nicht mehr „ausgesetzt“

VON CHRISTIAN RATH

Es ist ein symbolischer Erfolg für die EU-Kommission, mehr nicht. Gestern stellte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg fest, dass der EU-Ministerrat das Defizitverfahren gegen Deutschland und Frankreich im letzten Herbst nicht „aussetzen“ durfte. Die Richter erklärten den Beschluss für „nichtig“. Faktisch ändert sich dadurch aber nichts.

Das Defizitverfahren war von der Kommission 2002 eingeleitet worden, weil es Deutschland und Frankreich nicht gelang, ihr Haushaltsdefizit unter 3 Prozent des Bruttoinlandprodukts zu halten. Im November 2003 wollte die Kommission weitere Sparverpflichtungen durchsetzen, unter anderem sollte Finanzminister Hans Eichel (SPD) zusätzliche 6 Milliarden Euro aus seinem Haushalt streichen. Doch für diese harte Linie fand der damalige Währungskommissar Pedro Solbes keine Zweidrittelmehrheit im Rat. Stattdessen setzte der Rat das Defizitverfahren aus und beschloss relativ milde Empfehlungen an die Sparsünder. Die Kommission zeigte sich entsetzt und trug den Streit nach Luxemburg, wo der EuGH nun entschieden hat.

Das Gericht stellte fest, dass der Rat der Finanzminister seine Kompetenzen überschritten hat. Er durfte nicht einfach – ohne Vorschlag der Kommission – neue Empfehlungen an die Defizitsünder beschließen. Außerdem durfte er das Defizitverfahren nicht mit Blick auf bloße Versprechungen der Sünderstaaten aussetzen. Damit hat der EuGH zwar das Initiativrecht der Kommission bekräftigt, eine echte Machtverschiebung geht damit jedoch nicht einher. Denn die politische Verantwortung für das Defizitverfahren liege auch künftig „im Wesentlichen“ beim Rat, so die Richter. Auch weiterhin gilt: Wenn die Finanzminister die Vorschläge der Kommission ablehnen, dann „ruht“ das Defizitverfahren. Und ob die Minister ein faktisch blockiertes Verfahren auch noch ausdrücklich „aussetzen“ dürfen oder nicht, ist letztlich unerheblich.

Es war wohl auch der Kommission klar, dass sie bei diesem Verfahren nur einen Propaganda-Erfolg verbuchen kann. Sie wollte den Rat als Rechtsverletzer an den Pranger stellen und sich sowie dem Stabilitätspakt gute Presse verschaffen. Das ist ihr gelungen. Von einem „Triumph der Stabilität“ sprach Peter Hintze, der europapolitische Sprecher der CDU/CSU. Guido Westerwelle sah einen „Sieg für den stabilen Euro“. Dabei hatte der EuGH sich in seinem Urteil in keiner Weise mit der wirtschaftlichen Situation in Deutschland und Frankreich auseinander gesetzt. Dazu wären die Richter auch gar nicht befugt. Es ging lediglich um Verfahrensfragen. Dass sich am Ende auch Hans Eichel über das Urteil freute, ist deshalb gar nicht so abwegig. „Die Richter haben klargestellt, dass es im Stabilitätspakt keinen Automatismus gibt“, sagte ein Sprecher, „dem Rat steht vielmehr ein Entscheidungsspielraum zu, den er genutzt hat.“

Wie geht es nun weiter? Deutschland und Frankreich sind wie bisher verpflichtet, bis 2005 ihr Defizit wieder unter 3 Prozent zu drücken. Doch auch wenn das nicht klappt, ist es noch ein langer Weg, bis Geldbußen in Milliardenhöhe verhängt werden können. Die Kommission müsste zunächst einen neuen Versuch unternehmen, die beiden Länder „in Verzug“ zu setzen. Doch wie im letzten November wäre dafür eine Zweidrittelmehrheit im Rat erforderlich – die aber immer unwahrscheinlicher wird, weil inzwischen zahlreiche Staaten selbst Haushaltsprobleme haben. In Brüssel wird schon seit Monaten über eine Änderung des Stabilitätspaktes diskutiert. Der neue Währungskommissar Joaquín Almunia ist dafür, das starre 3-Prozent-Kriterium durch flexiblere Lösungen zu ersetzen. (Az.: C-27/04)

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