Gone with the Wind: Über das Surfen

Wohl wegen der Materialschlacht und der körperlichen Anforderungen ist Surfen ein Männersport. Das Windsurfen ist eine in die Jahre gekommene Trendsportart. Reisenotizen am Strand im Norden Sardiniens

Ich befinde mich im Norden von Sardinien, genauer: in Porto Puddu, dem Windsurfparadies auf der italienischen Insel. Surfer hatte ich mir anders vorgestellt. Eher junge, freakige Typen, mit Tattooes, ausgebleichten Haaren und Dreadlocks, braun gebrannt. Aber ich kann hier vor allem Familien ausmachen. Die Frauen machen keinen außergewöhnlich sportlichen Eindruck, die Männer tragen fast alle einen Schnauzer. Es sind jung gebliebene Väter, die nur wegen einem hierher kommen: Windsurfen. Am Strand fällt mir sofort auf, dass sich fast ausschließlich die Männer auf die Bretter werfen, während die Frauen den Nachwuchs beschäftigen, mit ihm Sandburgen bauen oder Eis kaufen. Und wirklich: Surfen ist eine Männersportart, „wohl wegen der Materialschlacht und der körperlichen Anforderungen“, erklärt mir ein Surfer. Der Surf-Papst Robby Naish soll nach einem schlechten Wettkampftag gesagt haben: „Today I surfed like a girl“ – „Heute bin ich gesurft wie ein Mädchen“. Die Surferinnen werden es ihm weltweit gedankt haben.

Zurück zum Strand. Auf dem Wasser: Segel, Segel, bunte Segel. Nach einem Tag am Strand und intensivem Beobachten im Hotel erkenne ich einige Eigenheiten der Surfsüchtigen: Erstens: Gespräche. Es gibt nur ein Gesprächsthema, das wirklich interessiert: der Wind. Woher kommt er? Ist er stark genug? Wie wird er morgen sein, in zwei Stunden, wie war er gestern, warum ist gerade in dieser Bucht der Wind so beständig? Zweitens: Laune. Die Laune eines Windsurfers ist nur von einem abhängig: vom Wind. Der erste Blick am Morgen gilt nicht seiner Liebsten oder einem Bad, oder einem Buch. Nein, der erste Schritt ist der auf den Balkon. Blick aufs Meer, Blick auf die Bäume. Verharren. Dann gibt es zwei Möglichkeiten: freudiges, agiles Aufstehen, zum Frühstück hechten, einen Saft verschlingen und im Neoprenanzug aufs Wasser. Die andere Möglichkeit: Versteinern. Missmutiges Wieder-ins-Bett-Gehen und Warten. Und immer nur an eines denkend: Wann kann ich wieder?

Drittens: Freude teilen. Ein surfender Vater (oder seltener eine surfende Mutter) wollen, das Surfen an den Spössling weitergeben. Natürlich, weil er, der Windsurfer, einfach nicht verstehen kann, dass jemandem seine Leidenschaft keinen Spaß machen könnte und – damit er kein schlechtes Gewissen hat. Denn wenn Sprösslinge oder Freundin auch eifrig mit dem Wind gleiten, dann sieht die Welt viel besser aus. Dicke Kinder in Neoprenanzügen wie die Wurst in der Pelle sind nicht selten. Oder Männer, die ihrer Freundin ermunternd zuschreien: „Wenden“, wenn das Brett gen Horizont gleitet.

Surfen. Eine Lebensart, die anscheinend über die Jugend hinausreicht, wie ich in Porto Puddu sehen kann. Allerdings, so versichern mir junge Surfer, ist das sardische Surfpublikum nicht das übliche. Normalerweise sehen Surfer wirklich so aus, wie man sie sich vorstellt. Haben einen VW-Bus, der täglich, stündlich bereitsteht, um damit zum nächsten See oder zur nächsten Meereswelle starten zu können. Eine Sucht, im Segel zu hängen, bei guten Windstärken wie ein Motorboot übers Wasser zu flitzen. Nicht selten sind Freudenjuchzer, wenn es gut läuft, wenn die Endorphine kullern, wenn die Seeluft ins Gesicht peitscht.

Die Windsurf-Geschichte begann, als 1972 ein Mann namens Hobie Alter ein Segel auf sein Surfbrett schraubte. In Deutschland kam Windsurfen erst so richtig in den 80er-Jahren auf. Man verbindet das deshalb heute mit neonfarbenen Segeln, Schulterpolstern und Glitzerkleidern. Doch die Windsurf-Welle verebbte. Surfläden verschwanden – so gibt es in München heute nur noch einen Spezialladen für die Windsurf-Gemeinde. Fitness-Zeitschriften wie Fit for Fun oder Mens Health ignorieren die Windsurfer seit einigen Jahren. Windsurfen zählt nicht mehr zu den Trendsportarten. Wer „in“ sein will, geht Wellenreiten oder Kite-Surfen.

Hartnäckig hält sich aber ein harter Kern, der das traditionelle Windsurfen pflegt. Und viele, die in den 80ern jung waren, haben das Surfen zu ihrer Passion gemacht. Männer, die heute Bärte tragen und Kinder haben. Surfer können übrigens auch springen, nicht nur gleiten. Kann man auf Weltmeisterschaften sehen. Das ist dann der ultimative Kick. Das ist Glück.

Ich bleibe trotzdem lieber am Strand sitzen, gucke auf die bunten Segel und freue mich – ohne Surfbrett. KATHRIN BURGER