DIE ERINNERUNG AN DIE FLUT DES VERGANGENEN JAHRES IST HOCHPOLITISCH
: Der nächste Regen kommt bestimmt

Es war gewagt, als der Kanzler vor Jahresfrist seinen Vorgänger zitierte: Keinem soll es nach der Flut schlechter gehen als zuvor. Erstens hatte die Ostdeutschen nicht eben beste Erfahrungen mit diesem Versprechen. Zweitens waren die Flusslandschaften derart verwüstet, dass unvorstellbar schien, alles wieder herzurichten. Tatsächlich sieht man auch ein Jahr später noch immer Wunden in Städten und Landschaften. Noch immer gibt es traumatisierte Menschen und auch jene „Schadensfälle“, die durch alle Hilfsnetze gefallen sind. Insgesamt aber hat der Kanzler Recht behalten: Der Mehrheit der Flutopfer geht es ein Jahr später nicht schlechter als vor der Flut.

Das ist in erster Linie denen zu verdanken, die beim Aufräumen angepackt haben. Zweitens ist die Politik zu loben, die – trotz knapper Kassen – großzügig Geld zur Verfügung stellte. Nicht zu unterschätzen ist drittens jener Beitrag, den jene lieferten, die selbst keine nassen Füße bekamen. Von Frankfurt (Oder) bis Frankfurt am Main, von Freiberg bis Freiburg – niemand hatte eine solche Solidaritätswelle in Deutschland für möglich gehalten. Das Hochwasser schaffte, woran die Politik gescheitert war: Ost und West näher zu bringen.

Alles bestens also? Mitnichten. Statt Wasser plagt nun Dürre Flora und Fauna. In Brandenburg etwa ernten die Bauern die Hälfte von dem, was sie vor zwei Jahren einfuhren. Die Oderflut 1997, die Dürre 2000, Elbeflut und jetzt wieder Dürre – zum vierten Mal binnen sechs Jahren erleben wir ein Wetterextrem. Zwar gibt es keinen eindeutigen wissenschaftlichen Beweis, dass dies der Klimaveränderung zuzuschreiben ist. Aber sowohl der menschliche Verstand als auch die Daten sprechen eine klare Sprache: Klimaveränderungen sind unabwendbar. Darauf sollten wir uns einstellen.

Insofern ist das Erinnern an die Flut hochpolitisch: Wenn der Bundesverband der Deutschen Industrie das nächste Mal über Klimazertifikate feilscht; wenn das Bundesumweltministerium das nächste Mal zum Kompromiss bereit ist; wenn die Opposition das nächste Mal den Wirtschaftsstandort Deutschland gefährdet sieht … dann müssen wir uns wehren. Sonst steht uns demnächst wieder das Wasser bis zum Hals. NICK REIMER