Gesundheitsreform balkanisiert

Die Generationendebatte rund um Hüftgelenke sei „völlig falsch“, erklärt Staatssekretär Schröder an die Adresse der JU. Dabei begründet das Sozialministerium seine Gesundheitsreformen oft selbst mit dem vermeintlichen Konflikt zwischen Jung und Alt

aus Berlin ULRIKE WINKELMANN

Für einen Staatssekretär im Sozialministerium griff Klaus Theo Schröder (SPD) gestern zu recht deutlichen Worten. „Wer jetzt von einem Generationenkrieg spricht, führt eine völlig falsche gesellschaftliche Debatte.“

Schröder, Sachwalter der Sozialministerin Ulla Schmidt (SPD), versuchte den Wirbel um die Äußerungen des JU-Vorsitzenden Philipp Mißfelder zu glätten. Im Hause Schmidt fürchtet man eine Diskussion um die Bezahlbarkeit medizinischer Leistungen für alte Menschen. Sie könnte auf die Debatte um die Gesundheitsreform abfärben und diese noch unbeliebter machen.

Mißfelder hatte in einem Interview am vergangenen Wochenende gesagt, 85-Jährige bräuchten keine künstlichen Hüftgelenke auf Kassenkosten. Prompt geriet das Thema „Altersrationierung“ wieder in die Medien. Schon im Juni hatten die Professoren Friedrich Breyer und Joachim Wiemeyer für Aufregung gesorgt, als sie öffentlich vorschlugen, das Leben alter Menschen nicht mehr durch aufwändige Behandlungen zu verlängern. Stattdessen sollten knappe Leistungen für Junge vorbehalten werden.

„Es gibt keine Rationierung“, erklärte Klaus Theo Schröder nun, „und sie ist ethisch auch nicht vertretbar.“ Jeder Versuch, Altersbegrenzungen für Kassenleistungen einzuführen, sei willkürlich. Wer nun das Argument Generationengerechtigkeit einführe, um eine derartige Rationierung zu legitimieren, „betreibt eine Balkanisierung der Debatte“, sagte Schröder erhitzt. Es sei falsch, „aus einem Verteilungskonflikt einen Generationenkonflikt“ zu machen.

Eine möglicherweise verspätete Einsicht. Das Ministerium hat die Geister schließlich selbst gerufen, die es nun nicht mehr los wird. Es ist Ulla Schmidt, die in allen Fragen von Rente, Pflege und Gesundheit sagt, die Älteren müssten aus Solidarität mit den Jungen mehr zahlen. Dadurch rechtfertigt sie Maßnahmen wie in der aktuellen Gesundheitsreform, wonach Rentner von ihren Alterseinkünften insgesamt 1,6 Milliarden Euro mehr an Beiträgen stellen sollen. Auch bei der demnächst anstehenden Reform der Pflegeversicherung zeichnet sich ab, dass Rentner einen höheren Beitrag zahlen werden als Erwerbstätige. So jedenfalls schlägt es der Sozialkassensanierer Bert Rürup vor.

Auch der Gesundheitsökonom und Schmidt-Berater Karl Lauterbach versuchte gestern, den Zusammenhang von Reform- und Generationendebatte aufzulösen. Das Argument sei eine „gefährliche Fata Morgana“, dass der demografische Wandel und der medizinische Fortschritt „die Kosten in den Himmel wachsen lassen“. Es sei nicht wahr, dass die Gesellschaft an einer Rationierung und Privatisierung von Leistungen nicht vorbeikomme, sagte Lauterbach zur taz.

Wer so rede, habe keine Ahnung davon, was eigentlich die Gesundheitskosten verursache. Dies sei nicht die lebensverlängernde Gerätemedizin oder das neue blutdrucksenkende Medikament. „75 Prozent der Kosten im System sind Personalkosten“, erklärte Lauterbach. „Und es sieht nicht danach aus, als ob diese stark ansteigen werden – schließlich werden den Deutschen bald schon die Arbeitskräfte für Medizin und Pflege fehlen.“